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#Hier versagt nicht nur die Kommunikation

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Hier versagt nicht nur die Kommunikation

Der Notfall-Rettungsdienst wird jedes Jahr zu mehr als elf Millionen Einsätzen gerufen. Angesichts der schieren Zahl sollte man auf ein hohes Maß an Professionalität der Helfer vertrauen können. Doch die weist Mängel auf, was nicht selten Patienten gefährdet. Im Medizin­betrieb wird Fehlermanagement noch immer vernachlässigt. Rettungsdienstpersonal sieht sich mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Die örtlichen Gegebenheiten sind meist unübersichtlich, schwierige Wetterbedingungen, widersprüchliche Angaben von Augenzeugen und die Notwendigkeit, unter Zeitdruck handeln zu müssen, machen den Rettungsdienst zu einem Hochrisikoarbeitsplatz. Nicht wenig, wenn nicht alles, etwa das Leben der Patienten, hängt von einer effektiven Kommunikation ab. In dieser Hinsicht gleicht der Rettungsdienst anderen Hochrisikoarbeitsplätzen wie in der Luftfahrt oder der chemischen Industrie. Aus beiden Bereichen ist seit Langem bekannt, dass Kommunikationsfehler dramatische Folgen haben können. Oft sind es nur kleine Missverständnisse, die sich zu groben Fehlern addieren. Experten sprechen von Schweizer-Käse-Modell, kleine Irrtümer — schwerwiegende Folgen.

Es gibt kaum Untersuchungen zur Häufigkeit von Fehlern im Rettungsdienst, schon gar nicht zur Qualität der Kommunikation innerhalb der Teams. Das ist verständlich angesichts der Vielfalt der Herausforderungen. Eine Studie zum Thema, die unter Leitung des Autors durchgeführt wurde, und jetzt im Journal Plos One publiziert wurde, förderte Ergebnisse zutage, die als beunruhigend zu bezeichnen weit untertrieben wäre. Die Resultate der Untersuchung sollten ein Weckruf sein, gerichtet an jene, die für die Organisation des Rettungsdienstes verantwortlich sind.

Mehr als siebenhundert Rettungsassistenten (zweijährige Ausbildung), Notfallsanitäter (dreijährige Ausbildung) und Notärzte wurden in der Studie befragt. Im Blick auf Alter, Geschlechtsverteilung, Berufserfahrung waren die Befragten repräsentativ für die Mitarbeiter im Rettungsdienst in Deutschland. Mehr als zwei Drittel berichteten, dass Patienten aufgrund eigener Fehler Schaden genommen hätten, wobei in fünf Prozent der Fälle der Schaden beträchtlich war. Es wurde von bleibenden Behinderungen oder gar dem Tod der Patienten berichtet.

Klagen über Kommunikationsdefizite

Erschreckend ist der eklatante Mangel an einer etablierten Struktur im Umgang mit Fehlern. Weniger als die Hälfte der Befragten konnte offen mit Vorgesetzten über Fehler sprechen. Jeder dritte Befragte fürchtet Sanktionen, wenn er Mängel offen anspricht. Kulturelle Gewohnheiten wie starre Hierarchien sind ein bedeutsamer Faktor, der Fehler begünstigt. Das haben Analysen der Katastrophen der Luftfahrt ergeben. Bei asiatischen Carriern wagten Untergebene oft nicht, Vorgesetzten zu widersprechen. Im deutschen Rettungsdienst ist es nicht besser.

Jeder Einsatz setzt Ärzte und Sanitäter unter Stress. Alarmierend ist, wie häufig die Befragten über Kommunikationsdefizite in stressigen Situationen berichten. Das reicht vom Verwechseln von Sachverhalten und Anweisungen bis hin zum Eingeständnis, sich nicht präzise ausdrücken zu können. Wie es um die Kommunikation innerhalb der Teams bestellt ist, lässt sich anhand der Beachtung etablierter Standards überprüfen, die sich in anderen Hochrisikobereichen als unerlässlich erwiesen haben. Dazu zählt die Kommunikation in Schleifen (closed loop communication), um Fehl- und Missverständnisse zu vermeiden. Dabei werden Mitteilungen und Anweisungen gezielt an ein Teammitglied gerichtet, das sie dann laut wiederholt. Nach Erledigung der Aufgabe ist der Vollzug zu melden. Nur eine Minderheit der Befragten hält die Grundregeln der Schleifenkommunikation ein. Mehr noch, nicht einmal die Hälfte der Befragten adressiert die Person mit Namen, an die eine Anweisung gerichtet ist.

Einen derartigen Mangel an Professionalität sollte man in einem hoch entwickelten Notfallsystem nicht erwarten. Er findet eine Erklärung nicht zuletzt in der Struktur des Rettungsdienstes. Vielerorts ist er im Rendezvous-System aufgebaut. Rettungsassistenten und Notfallsanitäter steuern einen Rettungswagen und treffen erst am Notfallort mit den Notärzten zusammen. Oft kennt man sich nicht, geschweige denn die Namen der andern Teammitglieder. Assistenzpersonal (Rettungsassistenten, Notfallsanitäter) wird von einschlägigen Organisationen wie dem Roten Kreuz oder den Maltesern gestellt. Der ärztliche Dienst wird nicht selten von Vermittlungsfirmen ad hoc besetzt. Diese Struktur negiert, dass gute Notfallmedizin nur mit eingespielten Teams gelingen kann. Noch pflegen viele Verantwortliche die Vorstellung, die Assistenten sollen beim Eintreffen Erste Hilfe leisten und der Arzt werde bei Eintreffen kraft Amtes schon Herr der Lage sein. Dies wird den Anforderungen im Rettungsdienst jedoch nicht gerecht.

Die Teilnehmer der Studie sind sich all dessen bewusst und fordern durchweg gemeinsames Training, ausdrücklich auch in der sachgerechten Kommunikation. Zudem wünschen sie sich eine angemessene Kultur und Umgang mit Fehlern. Jede Fluggesellschaft hält es heute so. Es ist höchste Zeit, dass jene, die für den Rettungsdienst in den Ministerien der Länder verantwortlich sind, die Missstände rasch beseitigen.

Der Autor ist Medizinethiker und ­Chefarzt der Medizinischen Klinik I des Ketteler-Kranken­hauses in Offenbach.

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