#Partys sind gefährliche Orte
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„Partys sind gefährliche Orte“
Die ästhetische Fallhöhe des Niedergangs ist immer eine Frage des Settings. Kommt er in den Farben der kalifornischen Abendsonne daher, auf einem BMX-Rad, als zögernde Zustimmung aus cyanblauen Augen, mit dem Beat des Musikers Drake? Ist man jung, sieht der Niedergang endgültig aus, unwiderruflich. Aus der Distanz wirkt er künstlerisch, revidierbar. Das ist der Reiz dieser Serie, oder sagen wie lieber: einer der Reize.
„Euphoria“ heißt die ab achtzehn freigegebene, ausgiebig von Drogen und Sex handelnde Geschichte einer Clique von High School-Schülern, die sich mit dem Wahnsinn des Aufwachsens, der Gewalt amerikanischer Vororte, dem Fluch familiärer Abgründe beschäftigt. Ihre Hauptdarstellerin Rue (Zendaya) ist schwer drogenabhängig, ihre Freundin Jules (Hunter Schafer) macht gleich zu Beginn eine traumatisierende Erfahrung. Aber weil die erste Staffel von „Euphoria“ 2019 zum Phänomen wurde, weil verbotene Bilder die spannendsten sind und die englische Season 2 schon im Januar anlief, gehen die neuen Ausschnitte auf Tiktok schon seit Wochen herum, und aus dem heroischen Niedergang von „Euphorias“ Helden wird Material für den eigenen täglichen Kampf.
Wie es schon tarantinohaft losgeht: Eine blonde Frau marschiert mit einer Waffe in ein Bordell, es dürfte die Zeit um die Jahrtausendwende sein. Dort schießt sie einem halbnackten Mann ungerührt in beide Oberschenkel, kommt unter großem Geschrei wieder auf die Straße, lässt sich neben einem kleinen Jungen in ein Cabrio fallen und sagt: „Du lebst in Zukunft bei Granny.“ Abfahrt, Abblende. Da haben sich alle, die Staffel Eins gesehen haben, schon einen Reim auf den Jungen im Auto gemacht, für den Gewalt zum Alltag werden soll: Es ist Fezco, der spätere Dealer, einen der vernünftigsten Typen der Serie. Und über die tätowierte Großmutter stellt trocken die Stimme aus dem Off fest: „Er mochte, dass sie ihn nicht wie ein Kind behandelte.“
Rue (Zendaya) ist zum Idol einer Jugendkultur avanciert.
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Bild: obs
Es gibt keine Erzählebene an der Oberfläche, lautet eines der Prinzipien des Drehbuchautors und Regisseur Sam Levinson. Alle, die den kalifornischen Niedergang antreten, die schöne, immerzu wütende Maddy (Alexa Demie) und der Footballstar Nate (Jacob Elordi), die nach Bestätigung hungernde Cassie (Sydney Sweeny), haben in Staffel Eins ihre Hintergrunderzählung bekommen und die daraus gewachsenen Entscheidungsmotive: „Was, wenn er noch einmal von vorne anfangen könnte“, träumt Nate, und in seinem Kopf geistern bei aller Unberechenbarkeit Bilder eines ganz normalen Familienlebens: „Sein Vater hatte ihm das Leben verkorkst.“ Unentwegt stürzen hier Gewissheiten in sich zusammen, lösen sich Allianzen, stellen sich neue Zweifel ein. Das ist die Seite des High School-Märchens, die noch nicht erzählt wurde.
Zum nostalgischen Soundtrack von Drake, der Executive Producer der Serie war, werden Zeitebenen und Ästhetik dekonstruiert, von den geschützten, statischen, durchkomponierten Räumen der Kinderzimmer bis zu den Partys. Da saust die Kamera durch den Raum, folgt ihren tippelnden, wankenden, stürmenden Protagonisten, steigt aus dem Fenster über das Dach empor, wo auch schon ineinander Verschlungene sitzen, und kehrt wieder zurück in das Chaos auf der Tanzfläche. Partys sind in „Euphoria“ nie ausgelassen, höchstens rauschhaft, es sind gefährliche Orte, auf denen junge Frauen mit Überdosis ihren Puls messen und Todesblicke ausgetauscht werden, Orte, an denen Brutalität der Jugend herausbricht.
Es gibt sie schon, die Momente der Unbeschwertheit, auch wenn sie Ort in die Welt des Rausches gehören. Und es gibt die Momente der Phantasien. Rue träumt davon, sich an ihren erfundenen und tatsächlichen Gegenspielern grausam zu rächen. Und ihre Freundin Kat (Barbie Ferreira), die deprimiert im Bett liegt und sich zu dick findet, wird von Self-Care-Frauen aus ihrer Youtubeblase heimgesucht, die ihre sinnlosen Mantras durcheinanderschreien: „Liebe dich doch einfach selbst!“ „Jeder Tag, an dem du aufstehst, ist ein Sieg!“
Sie alle, die kleinen und großspurigen Versager und Kämpferinnen, sind mit „Euphoria“ zu Ikonen der Jugendkultur geworden. Am meisten gilt das für die vom früheren Disney-Kinderstar Zendaya dargestellte Rue. Rues Vater starb an Krebs, jetzt schlurft sie in Jogginghose herum, kennt alle Opioide beim Namen, will ein besserer Mensch werden und stürzt dann doch wieder ab, um aus tiefen Augenhöhlen und unerklärlich weise auf ihre Welt zu schauen.
Wenn es etwas auszusetzen geben müsste an Sam Levinsons Werk, dann wäre es die naive Erotik, die Bereitschaft seiner Figuren, sich auch der Kamera schonungslos zu offenbaren – ein Mittel, das genau das Unwohlsein zur Folge hat, das es intendiert. Auch da bleibt sich „Euphoria“ eben treu: Wahrhaftigkeit und Verdorbenheit stehen nebeneinander, und kitschig wird es nie.
Euphoria läuft bei Sky
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