#Chinas Ruhm ist auf Ton gebaut
Inhaltsverzeichnis
„Chinas Ruhm ist auf Ton gebaut“
Am Anfang sehen wir den Helden des Romans, den jungen sowjetischen Kulturberater Leo Zwirn, im März 1960 an jenem Ort ankommen, an den ihn seine russischen und chinesischen Vorgesetzten strafversetzt haben: beim Museum für Kunst und Geschichte in der alten chinesischen Stadt Xian. Das Ereignis wird jedoch nicht direkt geschildert, sondern als Szene eines damals mit Handkamera aufgenommenen Schwarzweißfilms im 8-Millimeter-Format, der sich nur mit einem unzuverlässigen, aus der Zeit der Handlung stammenden Gerät abspielen lässt. Der Apparat muss wie eine Spieluhr aufgezogen werden, seine Mechanik ist aber so ausgeleiert, dass er den Film mit ganz unterschiedlichen und völlig unberechenbaren Geschwindigkeiten abspult.
Die ruckhaft ausgestreckte rechte Hand des Ankömmlings erscheint dann mal als herzlicher Willkommensgruß und mal als Fortscheuchen des chinesischen Empfangskomitees. „Der kurze Streifen bestimmt so nicht nur seine eigene Zeit“, bemerkt der Erzähler, „er versieht die Handlung auch mit ganz unterschiedlichen Deutungen.“ Der Einfall mit den zittrigen Filmbildern ist charakteristisch für die gesamte Perspektive, aus der heraus Tilman Spengler seinen Roman erzählt: Sie verwandelt dessen Handlung in einen Slapstick der Gesten und Ideen, der die Leser ohne jede Schwere mit dem Aberwitz vertraut macht, der auch in der realen Welt existiert.
Wirklichkeit und dramaturgisches Geschick
Kurz gesagt geht es in dem Buch darum, dass der sowjetische Berater das bald von der Kulturrevolution ergriffene China mit angewandter postmoderner Theorie dazu bringt, sich mittels einer gefälschten Terrakotta-Armee als kapitalistische Großmacht neu zu erfinden. Der Reiz dieser Groteske ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass man sich nie so ganz sicher sein kann, was von deren absurden Fügungen denn da nun fiktiv ist und was tatsächlich stimmt.
Tilman Spengler: „Made in China“. Roman.
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Bild: Transit Buchverlag
Dass die Volksbefreiungsarmee ein eigenes Auktionshaus aufmacht, um damit auf dem internationalen Kunstmarkt mitzumischen, wie es am Ende heißt, das ist doch zum Beispiel sicher eine gemeine Erfindung des Autors? Nein, das ist die pure Wirklichkeit, das Militär ist einer der größten kulturindustriellen Akteure in China. Dann ist es vielleicht auch wahr, dass die Terrakotta-Armee des Ersten Kaisers, die 1974 von ein paar Bauern beim Brunnengraben entdeckt worden sein soll und mit der China seither jede Menge Geld und Soft Power einheimst, bloß ein gigantischer archäologischer Fälschungscoup ist? Nein, natürlich nicht, aber es spricht sehr für das dramaturgische Geschick Tilman Spenglers, den Realitätsboden so zum Schwanken zu bringen, dass man für ein paar Augenblicke ins Grübeln kommt.
Die kulturrevolutionäre Dynamik
Der Sinologe Spengler nutzt die Gebräuche der maoistischen Bürokratie und des chinesischen Alltags als Rohstoff nicht nur für seine Pointen, sondern auch für die ganz eigene Dialektik der Handlung. Der leichte humoristische Ton darf nicht dazu verleiten, den Roman für harmlos oder gar verharmlosend zu halten. Er ist, auch wenn er in den sechziger und siebziger Jahren spielt, eine Parabel auf das heutige China, auf dessen Staatsziel des „Großen Wiederaufblühens der chinesischen Nation“, auf die allgegenwärtige Fake-Kultur, hinter der staatliche Korruption ebenso stecken kann wie der Selbstbehauptungswillen der kleinen Leute, auf den Markt, der alles antreibt. Die Historie selbst erscheint da als formbare flexible Masse, oder, mit den Worten des Stählernen Wu, eines politischen Kommissars, der im Roman der ständige Widerpart des Helden ist: „Geschichte ist eine Herausforderung, der wir uns jederzeit gewachsen zeigen.“
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