#Pop-Anthologie: „Frozen Warnings“ von Nico
Inhaltsverzeichnis
Die Musik zittert in dem Song „Frozen Warnings“ von Nico geradezu vor Kälte. Worin bestand die besondere Gesangeskunst des deutschen Models, das von Andy Warhol für Velvet Underground entdeckt worden war?
Zuerst ist da Nicos Stimme. „Gravelly“, nannte sie der Komponist Aaron Copland, nachdem John Cale ihm „The Marble Index“ geschickt hatte, „harsch“, harsch wie Schnee. Auf keinen Song ihres Albums trifft das so zu wie auf „Frozen Warnings“. Fast körperlos steht Nicos Stimme in einer weiten, leeren Winterlandschaft. Allein steht sie da, nur aus der Ferne dringt, erst kaum vernehmbar, dann immer deutlicher, ein gleißender Ton herüber, flüssiges Eis, wie zwischen die Hirnlappen injiziert.
Es ist kaum zu unterscheiden, ob es sich in den ersten Sekunden um John Cales Bratsche handelt oder um Nicos indisches Harmonium. Beide sind in diesem Song aufs Engste miteinander verwoben. Keine einfache Sache, wie Cale später zu Protokoll gab: Nicos Harmonium war nicht mit anderen Instrumenten in eine gemeinsame Stimmung zu bringen, nicht einmal mit sich selbst.
Cale gelang es, die intonatorische Schwäche in Stärke umzumünzen: Die Musik flirrt, ja sie zittert wie vor Kälte, ein Effekt, der bei einer klaren, reinen Stimmung kaum zu erzielen gewesen wäre. Aus dem einzelnen gleißenden Ton entwickelt sich mit der Zeit ein Drei-Ton-Motiv, ein Akkord entsteht, die Bratsche taucht wie ein Irrlicht mal hier, mal dort auf. Fast ist es, als wäre man in einem White Out gefangen und nur Nicos Stimme, harsch, aber fest, biete Orientierung in einer Welt, aus der ansonsten alles Leben verschwunden ist.
Geliehener Germanenalt
Es ist natürlich eine Drogenwelt, das Schneegestöber des White Outs weißes Pulver. Die „frozen borderline“, die Nico in „Frozen Warnings“ besingt und beschwört, ist die Grenze, hinter der sich eine andere, jenseitige, nur durch Heroin zu erreichende Welt auftut. Der Produzent des Albums, Frazier Mohawk, behauptete später, Nico und Cale hätten sich während der Aufnahme vor allem mit ihrer Droge, weniger mit der Musik beschäftigt.
Heroin war zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs Nicos ständiger Begleiter, als Verlockung aber schon lange präsent: Als Andy Warhol sie zu Velvet Underground brachte und Lou Reed mehr oder weniger befahl (es war klar, dass Warhols finanzielle Unterstützung davon abhing) Songs für das deutsche Model zu schreiben, hieß der Signature Song der Band, wenn man so sagen kann, „Heroin“. Allerdings sang ihn Reed auf dem 1967 erschienenen Debütalbum der Band selbst, ebenso wie das thematisch verwandte „Waiting for my man“. Nico durfte auf dem Album mit dem berühmten Bananencover lediglich drei Songs ihren Germanenalt leihen: „I’ll be your mirror“, „Femme fatal“ und „All tomorrows parties“.
Noch im selben Jahr aber kam ihr erstes Solo-Album auf den Markt, „Chelsea Girls“, darauf einige schöne, folkig angehauchte Stücke, die unter anderem Jackson Browne für sie geschrieben hatte. Bob Dylan gab ihr „I’ll keep it with mine“ mit auf den Weg. Die Postproduktion, bei der über die meisten Songs schnulzige Flötenmusik und Streicherschleim gelegt wurde, minderte leider die zärtliche Schönheit der „Chelsea Girls“.
Seiner Zeit voraus
So bat Nico, die inzwischen von Jim Morrison dazu ermuntert worden war, selbst Songs zu schreiben, ihren einstigen Velvet Underground-Kollegen, den klassisch ausgebildeten John Cale um Hilfe – beide waren 1968 aus der Band ausgeschieden. Gemeinsam schufen sie 1969 „The Marble Index“, das bis dato größte Stück „avantgardistisch-klassischer ernster Musik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, wie der Musikkritiker Lester Bangs zehn Jahre später schrieb (in seinem Nico-Porträt „Dein Schatten hat Angst vor Dir“).
„Pop“ war das natürlich nicht, was Nico und Cale produzierten, es war Kunst, und es nahm vieles vorweg, was erst zehn, fünfzehn Jahre später salonfähig werden sollte. Weder Gothic Rock noch Dark Wave sind ohne „The Marble Index“ vorstellbar; weder der weibliche Punk von Siouxsie Sioux noch die orchestralen Experimente Björks sind ohne Nicos Vorbild denkbar.
Auch die (nicht auf hippie-eske Bewusstseinserweiterung gerichtete) Drogenkälte, in der sich Nico in den Siebzigerjahren mit ihrem damaligen Lebenspartner, dem Regisseur Philippe Garrel, einrichtete, assoziiert man heute eher mit den Achtzigern und dem asozialen Broker-Kapitalismus der Wall Street. Dabei weist „Frozen Warnings“, so sehr es seiner Zeit voraus ist, gleichermaßen zurück in die Vergangenheit: Nico war ein Kriegskind, wuchs vaterlos in den Trümmern Berlins auf, sah noch die Leichen in den Ruinen liegen. Hier schon, in Deutschland 1945, begann sie die inneren Kältesysteme auszubilden, die im Umkreis von Warhols Factory dann chic und hip wurden.
„Frozen Warnings“, dieser Song, der sich am Ende zu einem Hymnus steigert, zeugt vom Sirenengesang, der für Generationen von Musikern – von Miles Davis über Kurt Cobain bis Amy Winehouse – vom Heroin ausging. Wen das weiße Pulver nicht lockt, den dürfte immerhin Nicos Stimme, dunkeltönend und eisgekühlt, in ihren Bannkreis ziehen.
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