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#Tobias Bleek über Musik im Jahr 1923

Jahresbücher sind in Mode. Dabei stehen sie nicht ganz zu Unrecht unter dem Verdacht, an die Stelle einer sinnstiftenden Erzählung ein anekdotisches, verstreutes Wissensmosaik zu versammeln, das auf das Häppchenwissen der Informations­gesellschaft abgestimmt ist – gewissermaßen die Wikipediasierung der Geschichtsschreibung. Allerdings lassen sich auch an einem synchronen Schnitt weiträumige diachrone Voraussetzungen und Konsequenzen aufzeigen. Über das in so vielerlei Hinsicht bewegte Jahr 1923 gibt es einige Bücher aus dem Bereich der allgemeinen Geschichte, die sich aber vor allem auf die traumatische Erfahrung der Hyperinflation konzentrieren, also auf das Deutsche Reich und seine verfehlte Geldpolitik.

Tobias Bleeks Studie zu 1923, die wohl aus Marketinggründen mit dem etwas dämlichen Obertitel „Im Taumel der Zwanziger“ versehen wurde, stellt jedoch die Musik in den Mittelpunkt. Und damit stand der Autor vor ganz anderen Herausforderungen, nämlich die Spannungen zwischen der Bewegung der Geschichte und der ästhetischen Präsenz des Gegenstands produktiv zu machen. Zugespitzt formuliert, widmen sich drei Kapitel des Buchs der Geschichte der Musik, nämlich den politischen, ökonomischen und massenmedialen Rahmenbedingungen des Musiklebens: den Auswirkungen der Hyperinflation, den Konsequenzen der französischen Besetzung der Rheinlande und der Eröffnung der ersten Rundfunkanstalt Deutschlands in Berlin.

Drei weitere Kapitel fassen kanonisierte Komponisten der klassischen Moderne ins Auge, widmen sich also der Geschichte der Musik: Igor Strawinsky, Béla Bartók und Arnold Schönberg und ihre Aktivitäten im Jahr 1923. Und zwei weitere Kapitel gehen über den europäischen Horizont hinaus und widmen sich einer anderen Geschichte der Musik: nämlich der Bluessängerin Bessie Smith und dem Jazztrompeter Louis Armstrong, beide zu Beginn ihrer Karrieren.

Tobias Bleek: „Im Taumel der Zwanziger“. 1923 – Musik in einem Jahr der Extreme.


Tobias Bleek: „Im Taumel der Zwanziger“. 1923 – Musik in einem Jahr der Extreme.
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Bild: Verlag

Dass das kein Ganzes gibt, liegt auf der Hand und gehört ja auch zum Prinzip der Jahresbücher. 1923 entstand etwa auch die Erstfassung des „Marienleben“ von Paul Hindemith, Franz Lehár brachte „Die gelbe Jacke“, also die interessante Erstfassung des „Land des Lächelns“, zur Uraufführung (und Oscar Straus „Die Perlen der Cleopatra“), für die Premiere von Darius Milhauds jazzinspirierte „La Création du monde“ entwarf Fernand Léger die Bühnenausstattung, und so weiter. Aber so, wie die Beschränkung auf ein Jahr ein Stück aus der Geschichte herausschneidet, erlaubt die scheinbar willkürliche Akzentsetzung Tobias Bleek, in die Tiefe zu gehen und statt der einen großen Geschichte acht kleine zu erzählen, die sehr viel nicht nur über die musikalischen, sondern auch über die gesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgen des Jahres 1923 erschließen.

Auch, aber durchaus nicht nur für Kenner

Bleek ist promovierter Musikwissenschaftler und Honorarprofessor an der Folkwang-Universität der Künste; aber als Leiter des Education-Programms des Klavier-Festivals Ruhr ist er auch mit Fragen der Vermittlung von Musik wohlvertraut. Sein Anspruch war es, zugleich für „eine kultur- und musikinteressierte Leserschaft ohne besondere Fachkenntnisse“ und „auch für ein wissenschaftliches Publikum“ zu schreiben. Beides ist brillant geglückt.

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