#Tom Tykwer verrät, warum sein 160-Minuten-Epos Das Licht ohne Bohemian Rhapsody nicht möglich gewesen wäre

Seit dem 2016 erschienen Ein Hologramm für den König war Tom Tykwer nicht mehr auf der großen Leinwand präsent. Stattdessen stemmte er zusammen mit Achim von Borries und Henk Handloegten das ambitionierteste deutsche Serienprojekt der jüngeren TV-Geschichte: Berlin Babylon. Irgendwann war der Drang nach Kino jedoch wieder so groß, dass Tykwer ein neues Filmprojekt in die Wege leitete.
Das Licht feierte im Februar seine Premiere auf der Berlinale und fungierte zugleich als Eröffnungsfilm des Festivals. Die Berlin-Odyssee mit Tala Al-Deen, Nicolette Krebitz und Lars Eidinger in den Hauptrollen ist ein 160-minütiges Epos, das eine unerwartete Entscheidung nach der anderen trifft und sich zwischenzeitlich sogar in ein Fantasy-Musical zu den Klängen von Bohemian Rhapsody verwandelt.
Doch wie sichert man sich die Rechte an einem legendären Queen-Song? Warum wird Berlin ständig von einem solch endzeitlichem Regen heimgesucht? Und auf welche Widersprüche trifft man als Filmemacher bei der Zusammenarbeit mit einem Filmstudio? Darüber und mehr hat Tom Tykwer mit uns anlässlich des heutigen Kinostarts von Das Licht gesprochen. Nachfolgend könnt ihr das Interview lesen.
Moviepilot: Was ich aus deinen Beschreibungen von Das Licht herausgehört habe, klingt so, als steckt sehr viel von dir persönlich in dem Film. Wo ziehst du als Filmemacher die Grenze zwischen dem Privaten und dem Beruflichen?
Tom Tykwer: Privat ist eigentlich immer blöd. Man will ja niemandem ins Schlafzimmer schauen oder Tagebücher von anderen Leuten lesen. Man kann als Filmemacher intim sein, aber wenn es privat ist, dann ist es partikular. Und das ist sehr schwer, ins Universelle zurückzuholen. Du musst irgendeinen Weg finden, dass du weißt, wovon du sprichst, aber die Figuren auf eine Weise erzählst, dass sie nicht Abbilder von irgendwelchen Menschen sind, mit denen du etwas zu tun hast, oder von dir selber.
Trotzdem gibt es Überschneidungen, zum Beispiel bei Lars Eidingers Figur. Sie hat im weitesten Sinne auch etwas mit mir als Filmemacher zu tun. Tim ist ein progressiver, linker Intellektueller, der für einen Tech-Konzern Konzepte entwickelt, wie man die kritische Bevölkerung anbindet und die unerreichten Massen in Konsumenten verwandelt. Er lebt in einem Widerspruchsfeld, das ich genauso betrete, wenn ich einen großbankenkritischen Film wie The International mit Sony drehen will. Ich weiß, das ist paradox. Aber ansonsten hätte ich den Film nie machen können, weil der sehr teuer war und mir sonst niemand das Geld gegeben hat. Du gehst einen Pakt mit dem Teufel ein, um den Teufel anzuklagen. Das ist ein Widerspruch, den ich nicht auflösen kann.
Was waren die Widersprüche, auf die du bei Das Licht gestoßen bist?
Wenn du einen sehr engagierten, anspruchsvollen, leidenschaftlichen und populären Film drehst, gibt es immer Stimmen, die sagen, das geht so nicht. Du musst ununterbrochen an dem Glauben festhalten, dass Leute gerne Filme sehen wollen, die nichts Konventionelles an sich haben, die nicht standardisiert sind. Gleichzeitig musst du die Balance halten zwischen der Sehnsucht nach Originalität, die wir alle haben, wenn wir ins Kino gehen, und einer gewissen Vertrautheit, damit man sich zurechtfinden kann.
Diese Balance zwischen Innovation und Tradition ist das, was einen tollen Film oft ausmacht. Wir wollen weitergetrieben werden, aber wir gehen auch ins Kino wegen der vertrauten Schönheit des filmischen Erzählens. Wenn Musik, Ton und Bild so toll zusammengehen, dann muss nicht jedes Mal die Welt neu erfunden werden. Trotzdem suchen wir und sehnen wir uns nach einer Erfahrung, die wir so nie hatten.
Gibt es einen Moment in Das Licht, der diese Sehnsucht für dich besonders zum Ausdruck bringt? Mir fällt als Erstes der Tanz über dem Wasser ein. Das war eine Szene, wo ich im Kino saß, und gar nicht glauben konnte, dass der Film da gerade hingeht – als würde er wortwörtlich abheben.
Das war auf alle Fälle sehr toll zu drehen. Ich hoffe, es gibt ganz viele solcher Sequenzen. Ich habe versucht, den Film so reich zu machen, dass man 20, 30 Sequenzen finden kann, in denen etwas passiert, mit dem man nicht gerechnet hat. Etwas, das wunderschön ist und einen aus der Bahn schmeißt – auf die interessanteste Weise. Dazu gehört auch die Tatsache, dass es in dem Film die ganze Zeit regnet. Das war eine sehr aufwändige Entscheidung, die für viele Widerstände gesorgt hat. Regen muss immer hergestellt werden. Nie ist er da, wenn du drehst, und wenn er da ist, siehst du ihn nicht, weil er zu dünn ist. Du musst die zehnfache Menge herunterkommen lassen, damit sich das Wasser im Licht reflektiert. Und die Leute sind immer alle pitschnass.
Und erkälten sich vermutlich.
Ja, genau, darauf muss man wirklich achten.
Warum war dir Regen so wichtig? Hättest du den Film auch bei Sonnenschein drehen können?
Nein, das kam nicht infrage. Das ist eine dieser Sachen, bei denen man auf eine idiotische Weise stur bleiben muss. Wenn man den Instinkt hat, dass das irrsinnig wichtig für die Atmosphäre des Films ist, muss man das durchziehen.
Es hat etwas richtig Apokalyptisches.
Genau, dadurch entstehen tausend verschiedene Gefühle. Es erzeugt auch eine komische Intimität. Du bist näher an den Leuten dran in einer Situation, die ansonsten öffentlich wäre. Das hat den Szenen unheimlich geholfen. Die Figuren sind durch den Regen isoliert und das passt auch zum Rest des Films, weil sie für ihren Freiraum kämpfen und Kontakt suchen. Das allein ist schon schwer und der Regen erschwert es zusätzlich. Und dann ist das Wasser natürlich das zentrale Motiv des ganzen Films und spielt am Schluss, den ich jetzt nicht verraten will, die alles entscheidende Rolle. Der Regen bereitet uns die ganze Zeit auf das Finale vor.
Auf der Berlinale meintest du, dass Berlin mit seinen ganzen Baustellen wie eine unfertige Stadt wirkt. War der Regen für dich auch ein Hilfsmittel, um dieses Berlin zu verschönern, weil alles plötzlich atmosphärischer wirkt.
Das war nicht mein vordergründiges Argument für den Regen, aber klar, das sieht schön aus. Du kriegst die ganzen Reflexionen. Am Ende des Tages bleibt es trotzdem bodenlos aufwendig und super kompliziert, gerade wenn du größere Straßenfluchten in Nebel setzen willst. Das ist der Wahnsinn. Du musst diese ganzen riesigen Duschen überall aufhängen und sie dürfen eigentlich nicht im Bild stehen. Manchmal haben wir sie aber drin gelassen, weil es nicht anders ging. Wie so ein Scheinwerfer, der einfach im Bild steht. Merkt man zum Glück gar nicht.
Ein anderes vereinendes Element in dem Film ist Bohemian Rhapsody. War dir von Anfang an klar, dass der Song das Grundgerüst des Films wird? Oder hast du auch über andere Songs nachgedacht?
Bohemian Rhapsody stand von Anfang an im Drehbuch. Das hat vor allem damit zu tun, dass mein Sohn den so gerne singt, besonders, wenn sich Konflikte ankündigen, etwa zwischen mir und meiner Frau. Plötzlich fängt er an, das zu singen, und das ist völlig verrückt, wie sehr er sich darin versenkt hat. Er kann das ganze Stück auswendig und singt es mit so einer Art performativem Drang. Es ist so toll, wie sich Kinder völlig in diese Welt hineinsteigern können. Die sind dann da so tief drin, wie wir das im Kino immer erleben wollen. Dass man komplett von einem Film verschluckt wird.
Allen Hauptfiguren in dem Film wurde ein Song zugeordnet. Ich mochte die Idee, dass ausgerechnet der Jüngste einen Oldie nimmt. Das wirkte sehr passend, denn die junge Generation ist so eine Zitatmaschine, die alles unmittelbar aufsaugt, dass es plötzlich deren ganze Welt ist. Wenn ein Sechsjähriger zum ersten Mal Star Wars sieht, dann ist der für zwei Tage irgendwo in irgendeiner Galaxie unterwegs und weiß nicht mehr, wo die Wirklichkeit ist. Kinder können diese Fantasie von sich heraus herstellen, und davon wollte ich auch etwas in meinem Film einfangen.
Genauso wie Star Wars als Film ist Bohemian Rhapsody ein Song, in den man immer wieder eintauchen und sich in verschiedenen Welten verlieren kann.
Das ist das Tolle an dem Stück. Es ist ein musikalischer Rundumschlag. Hard Rock, Oper, Ballade – die unterschiedlichsten Genres finden auf schlüssige Weise zusammen. Gleichzeitig ist der Song ein intimes Geständnis oder Bekenntnis von Freddie Mercury. Also ein sehr persönlicher Song, obwohl er in die Breite er Musikgeschichte geht. Irgendwann wurde mir klar, dass Bohemian Rhapsody genau wie der Film ist, den ich machen will. Der Vergleich ist vielleicht vermessen, aber genau das war mein Gedanke. Und dann war das leider gar nicht so einfach, den Song zu kriegen.
Wie hast du es geschafft?
Erst mal schien das völlig unmöglich zu sein, denn über einen sehr langen Zeitraum hat die Plattenfirma abgesagt. Doch dann habe ich tatsächlich einen Brief an Queen, genauer gesagt an Brian May, geschrieben, also einen richtig handschriftlichen Brief. Den habe ich als Fax geschickt und als Antwort kam dann zurück: „Okay, mach mal.“ Eigentlich ganz einfach, aber es war trotzdem ein langer Weg bis dahin.
Was hättest du gemacht, wenn es nicht geklappt hätte?
Ich kann mir das nicht vorstellen. Ich war felsenfest entschlossen, dass es der Song sein muss. Eine andere Option gab es für mich nicht.
Hättest du den Film abgesagt, wenn du ihn nicht bekommen hättest?
Das weiß ich nicht. Es ist eher umgekehrt. Du sagst dir dann: „Das werde ich jetzt nicht denken.“ Stattdessen erzwingst du dir die gewünschte Realität.
Wo wir gerade bei Musik sind: Du hast zusammen mit Johnny Klimek auch die Filmmusik geschrieben und machst das nicht zum ersten Mal. Wie komponiert man als Regisseur und Drehbuchautor Musik für seinen eigenen Film?
Das hat bei mir sehr früh angefangen, weil ich mir keinen Komponisten leisten konnte und auch gar nicht wusste, wie so eine Zusammenarbeit läuft. Ich habe schnell gemerkt, dass ich die Musik eigentlich schon beim Schreiben im Kopf hatte, und konnte zum Glück selbst ein bisschen Klavier spielen. Damals gab es die ersten digitalen Mehrspurgeräte, die eine ganze Menge konnten. Ich habe einfach damit angefangen und nie wieder aufgehört. Die Idee, dass ich jemand anderem meinen Film gebe und der die Musik dazu macht, fand ich plötzlich völlig grotesk. Eben, weil ich die Musik immer schon spürte.
Der wichtigste Trick ist, die Musik schon zu komponieren, bevor man den Film dreht. Dann sind alle Themen schon fertig und der Rest wird im Schneideraum angepasst. So müssen wir keine Temp-Musik verwenden, was bei 90 Prozent aller Filmemacher der Fall ist. Die nehmen die Filmmusik von anderen Filmen oder ihre Lieblingssongs und legen die unter die Szenen. Dann sagen sie einem armen Komponisten: „Kannst du das so ähnlich machen, aber, ohne dass wir für die Rechte bezahlen müssen?
Ich weiß dagegen schon bei den Dreharbeiten genau, wie die Musik in den Schnitt hineinatmen wird, und würde behaupten, dass das ein Aspekt ist, der meine Filme so geschlossen wirken lässt. Viel zu oft heißt es: „Da legen wir einfach Musik drüber, dann wird das schon, selbst wenn eine Szene jetzt nicht so gut geworden ist.“ Das kenne ich nicht. Bei mir liegt die Musik nicht obendrauf, sondern drin.
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Das Licht läuft seit dem 20. März 2025 in den deutschen Kinos.
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