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#Sie wollten keine Russen werden

„Sie wollten keine Russen werden“

Grauer Tag, matte Stimmung, dazu ein kalter Wind. Sonst ist nur wenig Bewegung in Kosatscha Lopan, einer Kleinstadt nördlich von Charkiw, fünf Kilometer vor der russischen Grenze. Irgendwo wird geschossen, Rauch steigt auf. Die Ukraine, so wird sich später herausstellen, hat einen russischen Zollposten angegriffen. Ein paar Geschosse kommen zurück, landen im Feld. Und doch lebt hier, an diesem tristen Ort im Osten Europas, eine Frau, die glücklicher kaum wirken könnte. Ljudmila Wakulenko, 62 Jahre alt, Bürokratin aus Leidenschaft und ukrainische Patriotin, darf seit einem Tag wieder dort sitzen, wo sie am liebsten sitzt: auf dem Chefsessel aus braunem Leder, hinter ihrem Schreibtisch, mit dem Stempel der örtlichen Verwaltung in der Hand.

Der Andrang vor ihrem Büro ist riesig. Alle strömen zu ihr, brauchen Hilfe, vor allem für den Wiederaufbau ihrer Häuser. Die Skorpionsbrosche glänzt frisch poliert auf Wakulenkos Brust, fast liebevoll drückt sie die blaue Tinte ins Papier. Vor dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar war Wakulenko Vorsitzende des Dorfrats. Kosatscha Lopan hat keinen Bürgermeister, bis zum Krieg hat sich der Ort selbst verwaltet. Und tut es jetzt, nach der Befreiung, wieder. Nach dem russischen Einmarsch ergriff Wakulenko nicht die Flucht. Sie blieb, um weiter für die Bürger da zu sein. Während der etwa 200 Tage dauernden Besatzung riskierte sie ihr Leben.

In den ersten drei Wochen habe Kosatscha Lopan weder unter Kontrolle der Russen noch der Ukraine gestanden, sagt Wakulenko. Die ukrainischen Soldaten waren zwar allesamt geflohen. Doch die russischen Truppen fuhren nur durch, vermutlich zur Front nach Charkiw. Lebensmittel habe sie aus einem benachbarten Ort besorgen können, wo es ein großes Lager gibt. „Dann, am 17. März, war es so weit“, sagt Wakulenko, „und die ersten russischen Soldaten haben sich hier niedergelassen.“

Diesen Panzer ließen die Russen beim Abzug in der Region Charkiw zurück. Nun gehört er den Ukrainern.


Diesen Panzer ließen die Russen beim Abzug in der Region Charkiw zurück. Nun gehört er den Ukrainern.
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Bild: Antoni Lallican

Von diesem Zeitpunkt an durften die Menschen Kosatscha Lopan nur noch in eine Richtung verlassen: nach Russland. Der Ort wurde zum Gefängnis. Die russischen Soldaten nahmen die ukrainische Flagge vor dem Gebäude der Lokalverwaltung ab. Wakulenko ging zu den Soldaten, bat sie um die Flagge. „Sie haben sie mir gegeben, ich bin dann nachts hin und hab sie wieder aufgehängt.“ Die Russen nahmen sie wieder herunter, abermals bat Wakulenko um die Flagge, erhielt sie sogar, hängte sie nachts wieder auf.

Fünf Tote durch versehentlichen Beschuss

Doch dann, so berichtet es die ehemalige Lehrerin, sei es ungemütlich geworden. Im Keller des Polizeigebäudes sollen die Besatzer einen Folterraum eingerichtet haben. Während einer Essensausgabe wurden laut Wakulenko fünf Zivilisten getötet, weil die Russen versehentlich auf das Dorf geschossen hätten. Doch aufzugeben sei für sie nicht infrage gekommen. Wakulenko machte weiter. „Ich hatte noch die ukrainischen Stempel im Büro. Die Russen haben die Pässe der Menschen konfisziert, und der einzige Weg, zu fliehen, war zu Fuß. Deshalb habe ich ihnen mit dem Stempel ihre Identität auf Papier bestätigt, damit sie auf ukrainischer Seite registriert werden können.“

Die Besatzer wurden irgendwann ungeduldig mit der ukrainischen Bürokratin. Sie sahen in ihr eine Unruhestifterin. Eines Tages hielten sie ihr eine Waffe an den Kopf und eskortierten sie nach draußen. Auf Anleitung eines Polizisten aus der separatistischen Volksrepublik Donezk musste Wakulenko ihre Solidarität für Russland bekunden, vor laufender Kamera. Sie sagt: „Es war der beschämendste Moment meines Lebens.“

Doch Wakulenko hat durchgehalten, bis zum 11. September. Da hat die ukrainische Gegenoffensive die russischen Besatzer in die Flucht geschlagen. Als Wakulenko bewusst wurde, dass die Russen weg sind, sprang sie aufs Fahrrad und fuhr geradewegs zur Stadtverwaltung. Sie hisste die ukrainische Flagge als Zeichen der Freiheit.

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