Unsere Blickmuster entstehen erst nach und nach

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Wenn wir als Erwachsene Bilder betrachten, folgen unsere Blicke meist typischen Mustern. Beispielsweise verharren wir länger auf Gesichtern oder Textelementen. Doch wann entwickeln sich diese Sehgewohnheiten? Mit einer Eye-Tracking-Station in einem Wissenschaftsmuseum haben Forschende Blickdaten tausender Menschen zwischen fünf und 72 Jahren gesammelt. Die Auswertung dieser Daten zeigt: Kinder fokussieren sich noch auf ganz andere Aspekte der Bilder als Erwachsene. Ein festes Blickmuster entsteht demnach erst mit etwa 20 Jahren.
Wie wir ein Bild betrachten, ist nicht zufällig, sondern folgt vorhersagbaren Mustern. So ziehen beispielsweise Gesichter und Texte unseren Blick besonders an. Zudem betrachten wir Objekte in der Mitte des Bildes mehr als an den Rändern und erkunden das Motiv meist in horizontaler Richtung. Die Gestaltung von Werbeplakaten, Kinoaufnahmen oder professionellen Fotografien richtet sich oft an diesen Blickmustern aus. Doch sind uns diese Präferenzen angeboren oder basieren sie auf unseren im Laufe des Lebens erworbenen Seherfahrungen?

Blickverfolgung im Museum
„Schon frühere Studien haben gezeigt, dass die Blickmuster bei Kindern stärker variieren als bei Erwachsenen“, erklären Marcel Linka von der Justus-Liebig-Universität Gießen und seine Kollegen. „Das deutet darauf hin, dass die Art, wie wir unsere Aufmerksamkeit lenken, erlernt ist“ Unklar war allerdings bisher, in welchem Alter wir uns an die „typischen“ Fokuspunkte gewöhnen. Denn die meisten Studien hatten nur eine begrenzte Anzahl von Testpersonen und verglichen lediglich einzelne Altersgruppen.
Deswegen haben Linka und sein Team diese Frage erneut aufgegriffen. Um für ihr Experiment möglichst viele Probanden verschiedenen Alters zu gewinnen, kooperierte das Forschungsteam mit dem Mitmach-Museum Mathematikum in Gießen. Fast zwei Jahre lang konnten dort große und kleine Museumsbesucher verschiedene Bilder an einer Eye-Tracking-Station betrachten und dabei ihre Augenbewegungen verfolgen lassen. Die dabei aufgezeichneten Daten wurden dann für die Forschung zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise sammelten Linka und sein Team mehrere Millionen Blickbewegungen von mehr als 6700 Personen im Alter von fünf bis 72 Jahren.
Entwicklung über zwei Jahrzehnte
Die Auswertungen dieser Daten ergaben: Unsere Blickmuster sind nicht von Kindheit an festgelegt, sondern entwickeln sich über die gesamte Jugendzeit hinweg weiter. Erst im jungen Erwachsenenalter bilden sich die typischen, generalisierbaren Gewohnheiten heraus. Die Aufmerksamkeit für Textelemente steigert sich beispielsweise deutlich vom fünften bis zum 20. Lebensjahr, wie Linka und seine Kollegen ermittelten. Bei Gesichtern zeigt sich dagegen ein gemischter Trend: Je älter ein Kind ist, desto häufiger wirft es den Blick zuerst auf ein im Bild enthaltenes Gesicht. Jüngere Kinder schauen Gesichter zwar seltener als erstes an, betrachten sie dafür aber länger. Zudem interessieren sie sich besonders für Objekte, die Personen auf dem Bild berühren. Mit zunehmendem Alter verliert dieser Fokus an Bedeutung.
„Wir waren überrascht, dass erwachsenes Blickverhalten sich so langsam entwickelt – über fast zwei Jahrzehnte“, sagt Linka. Bisher ging man davon aus, dass schon Grundschulkinder ähnliche Sehgewohnheiten haben wie Erwachsene. Stattdessen sind ihre Blickmuster noch sehr unterschiedlich – nicht nur im Vergleich zu denen Erwachsener, sondern auch untereinander. Erst im Laufe der Jugend werden sich die Augenbewegungen interindividuell ähnlicher. „Unsere Wahrnehmung verändert sich mit der Erfahrung“, erklärt Linka. „Dinge, die wir häufig sehen – wie zum Beispiel Bücher, Bildschirme oder Straßenschilder – könnten unsere Art zu schauen formen.“
Die Forschenden gehen davon aus, dass wir im Laufe unseres Lebens mehr und mehr lernen, die für uns relevanten Teile eines Bildes schnell zu erfassen, während wir andere Elemente außer Acht lassen. „Wir vermuten, dass Erwachsene ‘mentale Landkarten’ für typische Szenen entwickeln, also erfahrungsabhängige Vorstellungen davon, welche Bildelemente wichtig für das Verständnis einer Szene sind und wo sie zu erwarten sind“, erläutert Linkas Kollege Benjamin de Haas. Die Erkenntnisse könnten auch dabei helfen, besser auf die Seherfahrungen und Gewohnheiten von Kindern einzugehen. „Wenn wir wissen, wie sich der Blick über die Jahre verändert, können wir besser einschätzen, was Kinder brauchen, um die Welt zu verstehen“, sagt de Haas.
Quelle: Marcel Linka (Justus-Liebig-Universität Gießen) et al., Nature Human Behaviour, doi: 10.1038/s41562-025-02191-9

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