#Verkappung als Lebensform
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„Verkappung als Lebensform“
An der Historie des Fachs Kunstgeschichte Interessierte kennen Martin Warnkes zentrale Rolle auf dem Kölner Kunsthistorikertag 1970. Manche haben vielleicht noch den Sprachklang seiner stets ausgefeilten Zeitungsbeiträge im Ohr oder seine Kritik „Zur Situation der Couchecke“ an dem seit Biedermeierzeiten in der Ecke der „guten Stube“ hausenden Möbelmonster – sonst aber eher nichts von und über diesen Magier der tief bedachten Worte und Ideen gehört. Entstanden ist die Ikonologie der „Couchecke“, die Warnke als „geschlossene Zelle“ beschrieb, 1979 als Beitrag zu den von Jürgen Habermas versammelten „Stichworten zur ,Geistigen Situation der Zeit‘“, und es spricht für den Autor, sich schon so früh neben seiner Beschäftigung mit Heroen der Kunst wie Rubens, Goya und Velázquez auch mit dem niedersten, eben nicht höfischen Mobiliar befasst zu haben; worin er dem Kulturwissenschaftler Aby Warburg nachfolgte, den Warnke als einer der Ersten ins Bewusstsein des Fachs zurückrief und der vor hundert Jahren schon Reklamebilder neben Botticelligemälde stellte.
Wenn die Geschichtsmuse Klio eine Restgerechtigkeit kennt, wird die intellektuelle Biographie, die der Oldenburger Ideenhistoriker Matthias Bormuth nun unter dem Titel „Zur geistigen Situation der Couchecke“ vorlegt, einen der klügsten deutschen Köpfe des zwanzigsten Jahrhunderts dem Publikum besser bekannt machen. Wobei der vor drei Jahren verstorbene Warnke, 1937 im brasilianischen Ijuí als Sohn eines protestantischen Predigers zur Welt gekommen, eigentlich gebürtiger Neuweltler war.
Matthias Bormuth: „Zur Situation der Couchecke“. Martin Warnke in seiner Zeit.
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Bild: Berenberg Verlag
Dennoch lässt sich wohl kaum ein Kunsthistoriker finden, der mehr alteuropäisches Wissen in sich versammelte und dieses seinen Studenten und Lesern zwangloser zu vermitteln vermochte. Plastisch wird das, wenn Bormuth in seiner dichten Lebensskizze die makellose Rezitation von Goethes „Prometheus“ vor der Verwandtschaft in Jena mit der Frage des an den Urwald gewöhnten Sechzehnjährigen enden lässt, was eigentlich Disteln seien. Derartige Brückenphänomene interessieren den vergleichenden Ideenhistoriker Bormuth mehr als eine bloße Erfolgsgeschichte des Begründers der Politischen Ikonographie. Ihn beschäftigt Warnkes unbedingter Wille, protestantisch streng hinter die Worte zu blicken und Bilder gegen den Strich zu lesen – wenig verwunderlich stammen einige der wichtigsten Artikel zu Luthers und Cranachs Bildpolitik von ihm –, gepaart mit der spitzbübisch sokratischen Freude, mehr Fragen aufzuwerfen, als fixe Antworten zu geben.
Frei von wohlfeiler Empathie
Warnke interessierten Verunsicherungen in Bildern und in den durch sie verursachten Reaktionen stets am meisten. So verwunderte ihn an seinem frühen Forschungsfokus „Bilderstürme“ nicht etwa ihre wiederkehrende Existenz, vielmehr ihr schlechtes Ansehen. Bormuth legt ein starkes Augenmerk auf Warnkes Beschäftigung mit den zyklisch sich ereignenden Ikonoklasmen.
Farbe als Kritik: Rubens’ „Treffen der Maria de’ Medici und Henri IV“
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Bild: Fine Art Images
Im Buch erfährt man als Nachgeborener endlich auch, wie isoliert sich Warnke nach seiner mutigen Anprangerung des „braunen Sounds“ der Ordinarien ab 1933 auf dem Kölner Kunsthistorikertag 1970 fühlte, nach dem sich der eigene Berufsverband von ihm öffentlich distanziert hatte. Verständlich wird dadurch, warum Warnke aus seiner protestantisch nüchternen Sozialisation heraus jedem Pathos in Stimme und Schrift den Boden zu entziehen und seine Texte von aller Gefühlsduselei und vor allem Parteinahme zu entlasten versuchte – um so die „Freiheit eines Christenmenschen“, der er in eigener Sicht als Sohn eines Predigers eher nominell war, wiederzugewinnen. Die heute noch ergreifendste Beschreibung der Auschwitz-Prozesse in Frankfurt, gerade weil sie sich jeder wohlfeilen Empathie enthält und gründlich die Abgründe benennt, stammt aus Warnkes Feder – als junger Journalist begleitete er die Prozesse für die „Stuttgarter Zeitung“.
Frech agierende Hofkünstler
Bei fortschreitender Lektüre von Bornmuths Biographie drängt sich ein Gefühl immer stärker auf: Warnke muss die Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts derart internalisiert haben, dass er sich unausgesprochen das antike Motto des „Et si omnes ego non“ zu eigen machte. Mit traumhafter Souveränität stellte er sich gegen – nicht nur – wissenschaftliche Mehrheitsmeinungen und hat auf lange Sicht nahezu stets recht behalten. Formal kleidete er das in den Gestus der dissimulatio, niemals im tückisch täuschenden Zwecksinn Macchiavellis, vielmehr im Sinn von Ciceros rhetorischem Entwurf einer sich nie gemeinmachenden, schon sprachlich immer durch Brillanz abweichenden Tendenz zur wachsam kritischen Gegenbewegung, um sich größtmögliche Freiheit zu erhalten.
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