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#Vom Apokalyptiker zum Katalysator

Diesmal hat sein deutscher Verlag den Wettlauf um die Erstpublikation des neuen Romans von T. C. Boyle nicht gewonnen: „Blue Skies“ kam in den Vereinigten Staaten noch vor der Übersetzung heraus – wenn auch nur einen Tag früher. Das ist nicht so selbstverständlich, wie es klingt. In den letzten Jahren hatte man sich bei Hanser Mühe gegeben, Boyles Bücher als die eines der hierzulande erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller möglichst als Erste herauszubringen, denn man fürchtete signifikante Verkaufsverluste durch die leicht zugänglichen (kommerziell wie sprachlich) englischen Ausgaben – „Das Licht“ ging 2019 auf Deutsch gar gleich einige Monate dem Original namens „Outside Looking“ voraus.

Doch dieses Bemühen, das im Zweifelsfalle auf Kosten der übersetzerischen Qualität selbst bei einem derart versierten und (Boyle-)erfahrenen Mann wie Dirk van Gun­steren zu gehen droht, scheint nunmehr aufgegeben. Gut so, der Kuchen ist im Falle Boyles groß genug für alle.

Das liegt daran, dass seine Leser seit mehr als vierzig Jahren wissen, was sie an dem 1948 geborenen Schriftsteller haben: den großen Erzähler der Zivilisations­skepsis. Oder besser und konkreter gesagt: des Umschlags des American ­dream in einen amerikanischen Albtraum. Nur ­Boyles Erstling, der historische Roman „Wassermusik“, spielte außerhalb der Vereinigten Staaten, und bis auf den ebenfalls frühen „World’s End“ (1987) sind sämt­liche anderen siebzehn Boyle-Romane im zwanzigsten Jahrhundert oder der Gegenwart angesiedelt („Ein Freund der Erde“, erschienen 2002, gar teilweise in naher Zukunft). Sie ergeben durch ihre Mi­schung aus prominenten biographischen Stoffen (über popkulturell so bedeutende Figuren wie John Harvey Kellogg, Alfred Charles Kinsey, Frank Lloyd Wright oder Timothy Leary) und bürgerlichen Gesellschaftsporträts im Gesamtbild das Panorama einer Weltmacht, die im eigenen Haus an den inneren Widersprüchen ihres in­dividualistischen Ideals scheitert.

An der Westküste brennt es, an der Ostküste regnet es

So auch wieder in „Blue Skies“. Am einen Ende des Landes, in Kalifornien, brennen pausenlos die Sonne und die ausgetrocknete Vegetation, am anderen, in Florida, das sich selbst als „Sunshine State“ apo­strophiert, hört es kaum mehr auf zu schütten. Das Klima spielt verrückt, aber alle wissen, dass das die neue Normalität sein wird. „Alle“, das sind in diesem personell sehr konzentrierten Roman an der Westküste die Cullens, ein am Ende seines Erwerbslebens stehendes Ehepaar mit zwei erwachsenen Kindern, und an der Ostküste die Rivers als junges verliebtes Paar – Todd ist Markenbotschafter des Rumherstellers Bacardi, Cat die Tochter der Cullens (und sonst nichts, worunter die Mittzwanzigerin leidet; Influencerin wäre sie schon gerne).

Das Cover zu T. C. Boyles neuem Roman „Blue Skies“


Das Cover zu T. C. Boyles neuem Roman „Blue Skies“
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Bild: dpa

Mit ihr hebt der Roman an, der sich im Folgenden kapitelweise abwechselnd auf drei Perspektiven einlässt: neben Cats noch die ihrer Mutter Ottilie und ihres Bruders Cooper. Boyle erweist sich dabei einmal mehr als Virtuose dieses dreifach vereinzelten Weltblicks: „Was war das nur, was lief da falsch?“, fragt sich Ottilie: „Wo war die Welt, in der sie aufgewachsen war, in der es regnete, wenn es regnen sollte, und auf jeder weißen Kleeblüte in jedem Garten der Nachbarschaft eine Biene saß?“ Ihren Sohn Cooper wundert das dagegen weniger. Er ist Biologe und Apokalyptiker; angesichts von Wetterkapriolen und Insektensterben sieht er sich bestätigt. Pech nur, dass ihn ein in­fizierter Zeckenbiss einen halben Arm kostet. Ganz so individuell apo­kalyptisch hatte er sich die düstere Zukunft nicht vorgestellt.

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