Wissenschaft

#Wann bauen wir geistig ab und wie stark?

Im Laufe unseres Lebens verändern sich unsere geistigen und körperlichen Fähigkeiten ständig: Sie nehmen in der Jugend zu, später aber wieder ab. Doch wann dieser geistige Abbau einsetzt und wie stark er ausfällt, ist strittig. Nun zeigt eine Studie, dass kognitive Fähigkeiten bei Menschen in Deutschland bis in die vierziger Jahre ansteigen, bevor sie dann in Lese- und Schreibfertigkeiten leicht und in Rechenfähigkeiten stärker abnehmen. Doch wann genau und wie stark dies geschieht, ist vor allem vom regelmäßigen Gebrauch dieser Fähigkeiten abhängig.

Viele kognitive Fähigkeiten wie unser Gedächtnis, Konzentration und die Sprachkompetenz, fallen uns in der Jugend leichter. Im Laufe des Lebens nimmt dann die geistige Leistung oft wieder ab. Mit fortschreitendem Alter kann beispielsweise die Verarbeitungsgeschwindigkeit des Gehirns abnehmen. Andere Kompetenzen, wie das Wissen in bestimmten Bereichen, können dagegen stabil bleiben oder sogar zunehmen. Allgemein geht die Forschung jedoch davon aus, dass die geistigen Leistungen bereits im frühen Erwachsenenalter wieder abnehmen.

Wann und wie zeigt sich der Abbau?

Doch wann genau dieser Abbau einsetzt und welche Fähigkeiten davon in welche Maße betroffen sind, ist strittig. Ein Forschungsteam um Eric Hanushek von der Stanford University hat daher nun die kognitiven Fähigkeiten von Menschen im Alter von 16 bis 65 Jahren noch einmal systematisch untersucht. Basis dafür waren Daten des Programme for the International Assessment of Adult Competencies (PIAAC), das von der OECD durchgeführt wird – das Pendant zur internationalen Schulleistungsuntersuchung PISA. Die PIAAC-Studie, die in einem zehnjährigen Rhythmus durchgeführt wird, zielt darauf ab, die Fähigkeiten von Erwachsenen umfassend zu bewerten und herauszufinden, wie gut sie alltägliche sowie berufliche Anforderungen meistern.

Die Forschenden analysierten Daten der deutschen PIAAC-Studie 2011/12 und verglichen die Ergebnisse mit denen derselben Testpersonen im Jahr 2016. Dadurch ermöglichten diese Daten eine Längsschnittbetrachtung, wodurch Veränderungen in den kognitiven Fähigkeiten derselben Personen über einen bestimmten Zeitraum hinweg erfasst werden können. „Unsere Analyse konzentriert sich auf Lese-, Schreib- und Rechenfertigkeiten als zwei wichtige Konzepte kognitiver Fähigkeiten“, schreiben Hanushek und seine Kollegen. „Diese Fähigkeiten wurden in den Schulen als entscheidend für die kognitive Entwicklung der Schüler erkannt und bilden in vielen Ländern die Grundlage für Tests und die Überprüfung von Einzelpersonen und Schulen.“ Hanushek und sein Team erstellten aus den Daten Alters-Fähigkeits-Profile von über 3000 Menschen in Deutschland.

Neben den Testaufgaben wurden die Teilnehmenden auch gefragt, wie häufig sie alltägliche Tätigkeiten wie das Lesen von E-Mails oder das Berechnen von Kosten sowohl am Arbeitsplatz als auch im privaten Umfeld durchführen. Dies gibt darüber Auskunft, inwieweit diese Fähigkeiten im Alltag der Befragten tatsächlich gefordert und genutzt werden.

Use it or lose it

„Zwei Hauptergebnisse zeichnen sich ab“, berichtet das Team, „Erstens steigen die Fähigkeiten durchschnittlich bis in die vierziger Jahre hinein stark an, bevor sie in der Lese- und Schreibkompetenz leicht und in der Rechenkompetenz stärker abnehmen.“ Als zweites sänken die kognitiven Fähigkeiten im hohen Alter nur bei den Teilnehmenden, die sie seltener als der Durchschnitt benutzten. Dabei war der Unterschied schon zwischen Teilnehmenden, die ihre Sprach- und Rechenkompetenzen nicht mindestens einmal im Monat nutzten und denen, die sie mindestens monatlich verwendeten, sichtbar: Beim Lesen und Schreiben differierte die Kompetenz pro Jahr um 0,108 Standardabweichungen (SD), beim Rechnen um 0,100.

Zudem ergaben die Auswertungen, dass Menschen mit höherem Bildungsniveau, die im Alltag überdurchschnittlich oft Mathematik, Schreiben oder Lesen praktizierten, sich auch über das vierzigste Lebensjahr hinaus noch verbesserten. Nach Ansicht von Hanushek und seinen Kollegen bestätigt dies, dass geistiges Training und ein lebenslanges Lernen dazu beitragen können, dass wir unsere kognitiven Fähigkeiten bis ins Alter behalten. „Insgesamt stehen unsere Ergebnisse nicht im Einklang mit der Auffassung, dass ein Naturgesetz den unvermeidlichen Rückgang dieser Fähigkeiten im Alter vorschreibt“, so die Forschenden. „Ein zentrales Ergebnis unserer Analyse ist, dass sich die Kompetenz-Profile im Alter je nach Nutzung der Fähigkeiten deutlich unterscheiden.“

Laut den Studienergebnissen sanken zudem die kognitiven Fähigkeiten der Frauen im Rechnen stärker als bei den befragten Männern. Während der Unterschied in den Sprachfähigkeiten 0,014 Standardabweichungen betrug, lag er bei den Rechenkompetenzen bei 0,026 SD. Dies könnte möglicherweise auf geschlechtsspezifische Unterschiede in der Ausbildung oder Berufserfahrung zurückzuführen sein, wie das Team erklärt. 32 Prozent der Frauen wendeten ihre Rechenfähigkeiten mindestens einmal im Monat an, unter den Männern waren es 38,2 Prozent. Eine gezielte Förderung beispielsweise des Interesses von Mädchen und Frauen an MINT-Fächern könnte demnach dazu beitragen, solche Unterschiede auszugleichen.

Quelle: Eric Hanushek (Stanford University, USA), et al., Science Advances, doi: 10.1126/sciadv.ads1560

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