Warum man sich zu Hause für Katastrophen wappnen sollte

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Deutschland sieht sich heute Bedrohungen gegenüber, wie sie vor wenigen Jahren noch undenkbar schienen. Im Schatten des russischen Angriffskrieges in der Ukraine rücken Szenarien näher, die lange als bloße Planspiele galten. Ein direkter militärischer Angriff auf NATO-Gebiet, inklusive deutscher Städte und Infrastruktur, ist keine abstrakte Vorstellung mehr, sondern eine reale Möglichkeit, die Sicherheitsexperten und Politiker zunehmend ernst nehmen. Cyberattacken aus feindlichen Staaten könnten Kraftwerke, Verkehrsnetze oder Kommunikationssysteme lahmlegen – oft als Vorreiter eines hybriden, schwer durchschaubaren Angriffs.
Sabotageakte gegen Pipelines oder Bahnlinien, verdeckte Operationen fremder Geheimdienste und gezielte Hackerangriffe oder Destabilisierungskampagnen sind längst Teil einer neuen, gefährlichen Wirklichkeit. Die Bundeswehr rüstet sich für das Undenkbare – und auch die Zivilbevölkerung sollte gewappnet sein, falls aus einer politischen Krise der kriegerische Ernstfall wird.
Die Illusion einer vollkommenen Sicherheit in Deutschland gehört der Vergangenheit an. Und doch halten es die meisten Menschen noch immer wie die Bundesregierungen in den Jahrzehnten nach dem Ende des Kalten Krieges: Sie verschließen die Augen vor der immer realer werdenden Gefahr und setzen auf das Prinzip Hoffnung. Eine Nachlässigkeit, die sich bitter rächen könnte.
Die Tatsache, dass nur rund zwei Flugstunden von Hessen entfernt der Ukrainekrieg tobt, bedeutet nach Einschätzung des hessischen Innenministers Roman Poseck (CDU) „eine signifikante Veränderung“ bei den Bedrohungsszenarien und macht weitreichende Schutzvorkehrungen erforderlich – auf staatlicher Seite, aber auch von jedem einzelnen Bürger.
Große Bunker nicht mehr zeitgemäß
Laut dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in Bonn hat es einst allein „in den alten Bundesländern rund 2000 öffentliche Schutzraumanlagen“ gegeben. Heute seien es bundesweit noch 579 „akut nur sehr begrenzt nutzbare“ Bunker. Auf Hessen entfallen nach Angaben des Innenministeriums in Wiesbaden 15 Bunker mit insgesamt 33.000 Schutzplätzen – in einem Bundesland mit rund 6,2 Millionen Einwohnern.
Allerdings gelten große öffentliche Bunker auch nicht mehr als zeitgemäß. Bei Vorwarnzeiten von nur noch wenigen Minuten bei Angriffen mit modernen Waffen könnten sie von den meisten Anwohnern ohnehin nicht rechtzeitig erreicht werden, erklärt das hessische Innenministerium. Zudem könnten sich Ansammlungen von mehreren Hunderten oder gar Tausenden Menschen selbst zu einem Ziel für einen Angreifer entwickeln.
Es gehe heute vornehmlich um den Schutz vor herumfliegenden Trümmerteilen oder Splittern in rasch erreichbaren Schutzräumen wie Kellern, die sich leicht zu Selbstschutzräumen umbauen ließen, heißt es in Wiesbaden. Auch U-Bahn-Stationen, Tunnel und Tiefgaragen sollten als Zufluchtsort genutzt werden können. Ein „Nationales Schutzraumkonzept“ werde von Bund und Ländern ausgearbeitet, kündigt Minister Poseck im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur an.
Doch es muss nicht gleich ein Krieg sein, der die moderne Zivilgesellschaft in eine extreme Zerreißprobe treibt. Angesichts von globalen Lieferketten, der Zunahme von Extremwetterlagen und der Gewissheit, dass die nächste Pandemie nur eine Frage der Zeit ist, wird klar, dass auch der stärkste Staat nicht immer sofort und überall helfen kann.

Katastrophen sind definitionsgemäß Ereignisse, die bestehende Systeme zeitweise überfordern. Das Robert-Koch-Institut und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz warnen daher: Wer sich nicht rechtzeitig auf Versorgungsengpässe vorbereite, könne im Ernstfall schnell in eine prekäre Lage geraten – und damit sich selbst und andere in Gefahr bringen.
Als Minimalvorsorge für mögliche Krisen gelten haltbare Lebensmittel, Taschenlampen, Transistorradios und Batterien. Wer das im Keller, auf dem Dachboden, im Schrank oder unter dem Bett einlagert, ist kein Paranoiker, sondern beweist Eigenverantwortung. Katastrophenvorsorge ist eine noch weithin unterschätzte Alltagspflicht. Wer vorbereitet ist, hilft im Krisenfall nicht nur sich selbst, sondern entlastet auch die Einsatzkräfte, die sich dann um besonders Hilfsbedürftige kümmern.
Das Problem: Viele Menschen wiegen sich in trügerischer Sicherheit. In Umfragen des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe geben rund 60 Prozent der Befragten an, keine nennenswerte Vorratshaltung zu betreiben. Dabei unterschätzen sie, wie schnell Verkehr, Telekommunikation, Strom- oder Wasserversorgung, medizinische Infrastruktur oder Einkaufsmöglichkeiten in Krisen ausfallen können.
Die Konsequenzen zeigen sich insbesondere dann, wenn nach wenigen Tagen die Grundbedürfnisse nicht mehr zu stillen sind. Wer keine Vorräte oder einen alternativen Zugang zu Informationen und Strom hat, wird im Ernstfall leicht zum Opfer.
Die zunehmend komplexe und sensible Infrastruktur und die Rohstoffabhängigkeit moderner Gesellschaften bieten vielfältige Angriffspunkte. Moderne Krisen haben wegen der starken Vernetzung aller Lebensbereiche dramatische Konsequenzen: Fällt ein Sektor aus, breiten sich die Folgen rasch überallhin aus. Wer davon unvorbereitet getroffen wird, bleibt angesichts leerer Supermärkte, lahmgelegter Tankstellen und zusammengebrochener Kommunikationssysteme ganz auf sich allein gestellt.
Vollkasko-Mentalität stößt an Grenzen
Als das wahrscheinlichste Katastrophenszenario gilt ein regional oder überregional lang anhaltender Ausfall der Strom- und Wasserversorgung, verursacht durch Terroranschläge oder Cyberangriffe. Ob ein solcher Anschlag vom Unglück zur Katastrophe wird, hängt letztlich von seiner Dauer ab. Die Stromversorgung sollte nach Aussagen der Bundesregierung nach maximal 72 Stunden wieder funktionieren. Für Menschen, die keine Vorsorge getroffen haben, könnte allerdings schon das zu einer extremen Belastungsprobe werden.
Der Staat ist sich dieser Problematik bewusst und versucht seit Jahren, die Bevölkerung zu sensibilisieren. Schon 2016 erschien erstmals der sogenannte „Ernährungsvorrat für Notfälle“, eine offizielle Empfehlung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Mindestens zehn Tage sollte nach den inzwischen aktualisierten Vorgaben jeder Haushalt autark sein können und für diesen Zeitraum über Essen, Trinken, Medikamente und Hygieneartikel verfügen.
Pro Person werden beispielsweise zwei Liter Wasser pro Tag angeraten, also 20 Liter für zehn Tage. Hinzu kommen Kerzen, Streichhölzer, Taschenlampe, Batterien, ein Kurbel- oder Batterieradio, ein Notfallplan mit Kontakten und Treffpunkten, Kopien der wichtigsten Dokumente, ein ausreichender Bargeldvorrat sowie ein Campingkocher oder Grill.

All diese Empfehlungen zeigen: Die Bundesregierung geht davon aus, dass nicht immer sofort und überall Hilfe kommen kann. Die Vollkasko-Mentalität, bei der für jeden Schadensfall Linderung erwartet wird, stößt in Ausnahmefällen an ihre Grenzen. Die Bevölkerung muss die ersten Stunden und Tage nach einem Katastrophenereignis allein überbrücken können, bis staatliche Strukturen greifen. Die eigenen Vorbereitungen sind damit keine private Glaubensfrage, sondern Teil des staatlichen Gesamtplans für die Krisenbewältigung.
Die Corona-Jahre haben eindrücklich bewiesen, wie schnell der Alltag aus den Fugen geraten kann. Plötzlich waren keine Masken, keine Desinfektionsmittel, zeitweise auch keine Nudeln und keine Toilettenpapierrollen mehr erhältlich.
Noch drastischer waren die Folgen der Hochwasserkatastrophe im Sommer 2021 in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Tausende Menschen standen buchstäblich vor dem Nichts, Straßen waren unpassierbar, Handynetze sind ausgefallen, der Strom war abgeschaltet. Diejenigen, die vorgesorgt hatten, konnten zumindest für einige Tage autark leben: mit Kerzen, Campingkochern, Lebensmitteln und Notstromaggregaten.
Solche Ereignisse sorgen zunächst zu allgemein erhöhter Vorsorgebereitschaft. Doch je mehr die Geschehnisse verblassen, desto stärker setzt sich wieder die Hoffnung auf Dauerversorgung und Normalität durch. Experten sprechen vom „psychologischen Kurzzeit-Gedächtnis der Katastrophenvorsorge“. Man erinnert sich gern an stabile Verhältnisse und unterschätzt die immer vorhandenen systemischen Risiken. Damit wiederholt die Gesellschaft dieselben Fehler immer wieder.
Viele Menschen empfinden es als beunruhigend, sich mit möglichen Katastrophen zu beschäftigen. Aber der Kopf-in-den-Sand-Reflex hilft im Ausnahmezustand nicht. Wer vorbereitet ist, kann im Zweifel besonnener handeln – und vielleicht sogar Nachbarn und Freunden helfen. Private Katastrophenvorsorge ist keine seltsame Mode, sondern eine im besten Sinne bürgerliche Tugend.
Sie schützt nicht vor allen Folgen schwerer Krisen, aber sie ist die einzige realistische Chance, die ersten Tage sicher zu überstehen, ohne sich und andere zu gefährden. In einer immer stärker vernetzten, aber auch verletzlicheren Gesellschaft gilt: Eigenverantwortung und Solidarität durch Vorsorge sind die Basis für Sicherheit auch im Ernstfall.
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