Warum Saskia Esken als „Problemfall“ gilt

Wer ist Saskia Esken? Sie ist, jedenfalls während wir diesen Artikel schreiben, Parteichefin der SPD. Nach dem, was man gerade über sie hört oder liest, ist sie aber vor allem: ein Problem. Für die neue Koalition und für ihren Ko-Parteichef Klingbeil, für den sie gar dessen „größten Problemfall“ darstellt, wie das „Handelsblatt“ meint. Die Frau, schreibt die „Süddeutsche“, komme nicht an, „weder beim Volk noch in der eigenen Partei“; laut „NZZ“ galt sie als „Betriebsunfall“, laut „Spiegel“ in der Öffentlichkeit „lange als Peinlichkeit“. Das Portal „Der Westen“ bringt als neue Parteichefin Verena Hubertz ins Spiel, die „für eine neue SPD stehen“ würde: „Jünger, weiblicher und digitaler.“ Ist Esken nicht weiblich?
Ein Blogger der „Welt“, der freilich dafür berüchtigt ist, unsägliches Zeug zu schreiben, bringt es fertig, Esken „den Charme früherer Mätressen“ abzusprechen, und offenbart so sein ideales Frauenbild: ohne Macht, aber mit Charme. „Man kann von Saskia Esken halten, was man möchte“ – so leitete der Genosse Ralf Stegner bei „Markus Lanz“ seine Kritik an der „Form der Debatte“ über Esken ein, die „unterirdisch“ sei. Politiker und auch Politikerinnen, heißt es immer, müssten Kritik aushalten, und Esken ist fürwahr nicht die Einzige, die hart angegangen wird.
In ihrem Fall aber ist augenfällig, wie wenig es um ihre gewiss streitbaren politischen Positionen geht und wie viel um ihre Person. Wer ist Saskia Esken? Eine 63 Jahre alte Frau, die gern Blazer und bunte Blusen trägt, eine Brille und das, was man bei Frauen einen „praktischen Kurzhaarschnitt“ nennt. Wenn sie spricht, hört man den Schwarzwald heraus; oft, so die „taz“, sieht man sie mit „stoischer, zuweilen leicht verkniffener Miene“.
In der Politik sticht so jemand heraus, anderswo gerade nicht. Ein bisschen bieder wirkend, aber patent („patent“ nennt man immer nur Frauen), uneitel und unauffällig, mehr ausdauernd als dynamisch, rhetorisch nicht brillant, doch nicht auf den Mund gefallen: Solche Frauen trifft man auf dem Wochenmarkt und auf dem Wanderweg, sie sitzen an der Supermarktkasse und hinterm Schreibtisch im Gemeindebüro, und sie halten den Laden am Laufen.
Im Fernsehen, wo ältere Frauen durchweg Iris Berben gleichen, sieht man sie nie, in der Politik überdurchschnittlich oft im Ortsverein und fast nie an der Parteispitze. Esken ist, bei allen politischen Talenten, ein Prototyp der Durchschnittlichkeit. Und weil es in diesem Land auch zahllose Männer dieses Typs gibt, ist die deprimierende Debatte über Esken nicht nur – aber natürlich auch – misogyn. Sie zeugt überdies von einem gestörten Selbstbild. Wer ist Saskia Esken? Sie ist wie wir.
Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.
Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.