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#Warum wachsen manchen Tieren fehlende Körperteile nach?

Anders als bei uns Menschen wachsen manchen Tierarten verletzte oder abgetrennte Körperteile wieder nach. Fehlende Arme, Beine oder andere Gliedmaßen werden einfach durch neue ersetzt. Aber warum besitzen nicht alle Tiere diese Fähigkeit zur Regeneration? Eine Studie an Plattwürmern liefert nun neue Hinweise dazu. Demnach wachsen vor allem den Würmern, die sich ungeschlechtlich fortpflanzen, Gliedmaßen nach. Die Regenerationsfähigkeit könnte sich daher in einem evolutionären Kompromiss parallel zur Fortpflanzungsstrategie entwickelt haben, schließen die Forschenden.

Einige Tierarten, darunter manche Spinnen, Schnecken, Zebrafische, Salamander und Axolotl, können fehlende oder verletzte Körperteile oder sogar beinahe ganze Körper nachwachsen lassen. Besonders gut funktioniert die Regeneration bei einigen Plattwurmarten: Zerschneidet man sie, wächst aus jedem Stück ein neuer Wurm. Andere Plattwurmarten hingegen können defekte Gewebe oder Organe nicht ersetzen. „Diese Form der Regeneration scheint in der Tierwelt eher die Ausnahme zu sein, obwohl es für das Überleben große Vorteile bieten sollte“, sagt Seniorautor Jochen Rink vom Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen. Warum fehlt dann so vielen Tieren einschließlich uns Menschen diese Fähigkeit zur Regeneration?

Frühere Experimente seines Forschungsteams hatten bereits beleuchtet, wie die Regenerationsfähigkeit gesteuert wird. „Bei der Regeneration von Plattwürmern funktioniert der sogenannte Wnt-Signalübertragungsweg wie ein molekularer Schalter“, erklärt der Zellbiologe. Ist dieser Signalweg „angeschaltet“, wächst den Würmern ein Schwanz, ist er „ausgeschaltet“, bildet sich ein Kopf. Wird der Signalweg komplett blockiert, verbessert sich insgesamt die Regenerationsfähigkeit. Nun hat Rinks Team um Erstautor Miquel Vila-Farré zusätzlich untersucht, in welchen Plattwurmarten dieser Mechanismus besonders effektiv ist und wann er sich im Laufe der Evolution entwickelt hat. Dazu untersuchten die Forschenden bei 36 verschiedenen Plattwurmarten, inwieweit diese ihren Kopf nachwachsen lassen können, nachdem sie enthauptet wurden. Möglich machte dies die umfassende Plattwurmsammlungen des Instituts.

Plattwürmer im Regenerationstest

Dabei zeigte sich, dass sich die Plattwurmarten unterschiedlich gut regenerieren können. „Wir haben drei Gruppen gefunden“, beschreibt Vila-Farré. „Die erste Gruppe verfügt über schlechte bis keine Regenerationsfähigkeiten, die zweite kann Körperteile eingeschränkt ersetzen und die dritte weist eine zuverlässige Kopfregeneration auf.“ Die eingeschränkten Fähigkeiten zur Regeneration beruhten dabei immer auf dem Wnt-Signalweg. In einer ergänzenden Stammbaumanalyse rekonstruierten die Wissenschaftler dann, zu welchem Zeitpunkt der Evolution die verschiedenen Arten ihre Fähigkeit zur Kopfregeneration entwickelten oder verloren. Es zeigte sich: „Die Fähigkeit zum Nachwachsen von Organen und Geweben hat sich mehrfach unabhängig voneinander in unterschiedlichen Plattwurmarten entwickelt und ist ebenso unabhängig in verschiedenen Arten über die Zeit wieder verloren gegangen“, fasst Vila-Farré ihre Beobachtungen zusammen.

Aber warum ist die Fähigkeit nicht erhalten geblieben? Wie die Vergleiche ergaben, unterscheiden sich die Plattwurmarten auch in ihrer Fortpflanzungsstrategie: Sie vermehren sich entweder ungeschlechtlich oder geschlechtlich. Die Forschenden vermuteten daher, dass dies die Regenerationsfähigkeit beeinflussen kann. Um diese Theorie zu untersuchen, prüften sie gezielt bei verschiedenen Stämmen der Plattwurmart „Schmidtea mediterranea“, ob bei ihnen abgetrennte Körperteile nachwachsen und wie aktiv ihr Wnt-Signalweg ist. Dabei stellten sie fest: Plattwürmer, die sich ungeschlechtlich fortpflanzen, spalten sich in zwei Teile, die je zu einem neuen Wurm heranwachsen. „Diese Spezies brauchen Regenerationsfähigkeiten für die Vermehrung“, schließt Vila-Farré. Im Gegensatz dazu pflanzen sich die Wurmarten, denen fehlende Gliedmaßen nur teilweise nachwachsen, fast ausschließlich sexuell fort. „Sie legen Eier und müssen für die Reproduktion keine Körperteile nachbilden“, erklärt Vila-Farré. Auch auf molekularer Ebene fand sein Team entsprechende Unterschiede: Der molekulare Schalter des Wnt-Signalwegs war in den Stämmen, die sich sexuell fortpflanzen, wesentlich aktiver als bei Stämmen mit ungeschlechtlicher Vermehrung.

Kompromiss zwischen Fortpflanzung und Regeneration?

Die Forschenden schließen daraus, dass der Wnt-Signalweg auch bei der Ausbildung des Fortpflanzungssystems eine wichtige Rolle spielt. „Dem Gewinn oder Verlust von Regenerationsfähigkeiten in verschiedenen Plattwurmarten könnten Wechselwirkungen zwischen dem Wnt-Signalweg und dem Fortpflanzungssystem zugrunde liegen,“ erklärt Rink. Die Forschenden vermuten, dass Wnt-Signale die Bildung von Hoden und Eidotter fördern, jedoch zu Lasten der Regenerationsfähigkeit, da diese eine Hemmung der Wnt-Signale erfordert.

Demnach könnte das An- und Abschalten des Wnt-Signalwegs ein evolutionärer Kompromiss sein: Entweder effektive, sexuelle Fortpflanzung und schlechte Regeneration, oder umgekehrt. „Unsere Vermutung ist, dass sich die Regenerationsfähigkeit in Plattwürmern nicht zur ‚Reparatur‘ von Wunden entwickelt hat, sondern zur ungeschlechtlichen Fortpflanzung durch Teilung“, sagt Rink. Das könnte erklären, warum in der Natur Arten mit und ohne Regenerationsfähigkeit entstanden sind. Ob diese Hypothese stimmt und ob es noch andere Tiergruppen gibt, bei denen dieser Zusammenhang zum Tragen kommt, müssen nun weitere Studien zeigen. Weiter erforscht werden sollte auch, ob Umwelteinflüsse die evolutionäre Entwicklung der Regenerationsfähigkeit beeinflusst haben.

Quelle: Vila-Farré (Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften) et al., Nature Ecology and Evolution, doi: 10.1038/s41559-023-02221-7

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