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#Was heißt Huhn auf Türkisch?

Was heißt Huhn auf Türkisch?

Die Klassenlehrerin liest vor: „Pazara gidelim bir tavuk alalim.“ Dann fragt sie in die Runde: Versteht das jemand? Ali Emre meldet sich. Er spricht Türkisch und kann übersetzen: „Wir wollen auf den Markt fahren und ein Huhn kaufen.“ „Sehr gut“, sagt Frau Glitsch. Ali Emre schaut stolz in die Runde. Die Schüler der Klasse 2c der Pestalozzischule im Osten von Frankfurt sitzen im Kreis auf ihren kleinen Stühlen. Jedes der 17 Kinder hat zu Hause Eltern, die noch eine andere Sprache sprechen, von Türkisch über Arabisch bis zu Afghanisch und Albanisch. Insgesamt sind es elf verschiedene Sprachen. Aber im täglichen Unterricht kommt nur eine Sprache vor, und das ist Deutsch.

In den gesellschaftlichen Diskussionen zum Thema Integration sind sich alle einig, dass es für die Kinder von Migranten wichtig ist, Deutsch zu lernen. Über ihre Herkunftssprachen aber spricht kaum jemand. Sie werden ausgeblendet, als gäbe es sie nicht, als seien sie nicht mehr als ein Hindernis im Bildungserfolg der Kinder, nichts, auf dass man stolz sein könnte. Man kann das Thema aber auch anders sehen, und genau deshalb stehen an diesem Vormittag im Klassenraum der 2c zwei knallblaue Koffer, die „Frankfurter Bücherkoffer“.

Den Migrationshintergrund wertschätzen

Jeder enthält zwölf ausgewählte Kinderbücher, die neben Deutsch mindestens eine weitere andere Sprache enthalten, zum Beispiel Arabisch, Englisch, Farsi, Französisch, Russisch, Türkisch oder Serbokroatisch. Ein Buch mit Kinderversen ist sogar in 50 Sprachen verfasst.

Milana mit der Lese-Eule und einem Koffer voller Bücher zum Lesen.


Milana mit der Lese-Eule und einem Koffer voller Bücher zum Lesen.
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Bild: Wonge Bergmann

Die Schüler können den Koffer ein ganzes Schuljahr lang behalten, und jedes Kind nimmt ihn zweimal für eine Woche mit nach Hause, um die Bücher dort allein oder mit den Eltern anzuschauen oder die Texte der beiliegenden „Lese-Eule“ vorzulesen, wenn die Eltern keine Zeit haben.

„Es ist ein einfaches Projekt, mit dem man auch den Migrationshintergrund der Kinder wertschätzt“, sagt Susanne Rosenfeld, die den Kindern der 2c an diesem Morgen das Konzept erklärt. Gemeinsam mit Claudia Landmann hat sie den Verein Chancenreich gegründet und den Bücherkoffer bisher an 21 Frankfurter Schulen gebracht, unterstützt von der Stadt. Die Idee stammt aus Hamburg, wo der Verein coach@school als Erstes die mehrsprachige Leseförderung mit dem Bücherkoffer auf den Weg brachte. Seit diesem Jahr gibt es das Programm auch in NRW, weitere Bundesländer sind in Vorbereitung.

Mehrsprachigkeit kann bereichernd sein

Wertschätzung ist ein wichtiger Begriff bei dem Projekt. Wenn ein Teil der sprachlichen Fähigkeiten von Kindern immer wieder zurückgewiesen und gering­geschätzt wird, dann bedeutet das für die Kinder auch eine Zurückweisung und Ablehnung ihrer Person. Während Zweisprachigkeit bei Familien, in denen neben Deutsch auch Englisch gesprochen wird, meist als bereichernd eingestuft wird, gilt es bei anderen Sprachen wie Türkisch, Arabisch oder Kroatisch oft als eine Art Defizit. „Wir aber wollen das Potential der Familien stärken“, sagt Landmann. „Wir wollen auch nicht belehren“, ergänzt Rosenfeld. Die Bücher seien nur als Anregung zu verstehen und nicht als schulischer Auftrag.

„Je mehr Kinder schon in der Familie erleben, dass Lesen und Schreiben wichtig ist, desto leichter fällt ihnen auch das Sprachenlernen in der Schule“, sagt Ingrid Gogolin, Professorin für Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg, die zum Thema Mehrsprachigkeit forscht. Insgesamt könne sich die Förderung der Zweisprachigkeit positiv auf die schulischen Leistungen der Kinder auswirken. Wichtig sei aber neben der gesprochenen Sprache auch der Umgang mit der Schrift. „Jedes Kind muss irgendwann den Unterschied zwischen gesprochener und schriftlicher Sprache verstehen. Das lernen Kinder in der Schule, aber die Eltern können darauf vorbereiten“, so Gogolin.

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