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#Wenn selbst Geranien verboten sind

An einem lauen Sommerabend im Juli dachte ich, es vollbracht zu haben: Ich hatte Balkonien erschaffen.

Der Outdoorteppich glänzte fast, so sauber und unbemoost war er. Die Löcher in den Polstern waren frisch gestopft. Die Rattan-Sitzgruppe hatte ich perfekt arrangiert – kurz überlegte ich, ein Foto bei einem Designmagazin einzureichen. Das Bewässerungssystem funktionierte schon seit einer Woche tadellos. Die Tupperdose unter dem undichten Hochbeet fing zuverlässig jeden Tropfen auf. Die Zitronenmelisse wuchs bis zu meinen Oberschenkeln.

Ich frage mich immer noch, wie sie nur vier Tage später einen fauligen, braunen Tod sterben konnte.

Das Eingehen der Zitronenmelisse markierte den Anfang vom Ende Balkoniens, an dem ich mir schließlich eingestehen musste, dass alles eine Illusion gewesen war. Nie werden wir dem Aufruf des Marco-Polo-Reiseführers „Komm mit nach Balkonien“ folgen können. Der Kampf gegen den Taubendreck wird auch eine Plastikkrähe nicht gewinnen. Unsere Balkone werden es nicht „zu einer Luxus-Suite für Stadtbewohner schaffen“, nicht zum „Ferienparadies, in dem Sie sich wirklich zu Hause fühlen können“ werden. Der Druck ist zu groß geworden, die Anforderungen zu hoch. Ich las die Anweisungen auf einer frischen Samenpackung für den Zitronenmelisse-Topf: 25 Zentimeter Abstand sollten die Pflanzen zueinander haben. Ich holte ein Lineal und maß nach: So breit war der Kübel nicht.

Mit der Demokratisierung der Gesellschaft kamen die Balkone

Früher hatte ein Balkon nur einen Zweck: das Draufstehen. Hier sollte sich zeigen können, wer von Bedeutung war: Könige, Kardinäle, Kriegsgewinner. Sie traten dem Volk entgegen, atmeten dieselbe Luft und sprachen direkt zu ihm, aber blieben doch immer darüber.

Der Balkon, wie er sein soll: Fans des britischen Königshauses jubeln 2011 dem frisch verheirateten Prinz William und seiner Frau Kate zu.


Der Balkon, wie er sein soll: Fans des britischen Königshauses jubeln 2011 dem frisch verheirateten Prinz William und seiner Frau Kate zu.
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Bild: Reuters

Mit der Demokratisierung der Gesellschaft kamen die Balkone zu uns, mit Blick auf Hinterhöfe, zweispurige Straßen und über Villen hinweg als Fassadenauflockerung für Plattenbauten. Das Draufstehen verlor seinen Sinn, weil es niemanden gab, der auf die Stehenden gewartet hatte. In Russland verglaste man die Balkone und nutzte sie als Abstellfläche für all das Gemüse, das man aus dem Garten der Datscha mitgebracht hatte. Bei uns ersann man den Begriff „Balkonien“ – der Beginn einer maßlosen Überschätzung.

Mein persönliches Scheitern begann mit einem Buch, das ich zum Geburtstag bekommen hatte. „Dein fantastischer Balkongarten. Ernten bis zum Abheben“ hieß es. Auf dem Cover saßen glückliche Menschen auf gepolsterten Stühlen, tranken Tee und lasen. Einer machte sogar einen Handstand. Die Pflanzen rankten bis über ihre Köpfe, Bohnen hingen über dem Balkontisch, große blaue Blüten strahlten mir entgegen. Dort, wo sonst die Namen der Autoren gedruckt werden, stand „Fühl dich Löwenzahn“.

„Deine Suche nach dem Glück endet hinter der Balkontür“

Ich hatte das Wesen dieses Gefühls noch nicht im Ganzen ergründet, aber ich schlug das Buch auf. Auf der ersten Seite las ich: „Deine Suche nach dem Glück endet hinter der Balkontür.“ Das traf sich gut. Es war 2021, Corona ließ uns bei der Glückssuche ohnehin keine anderen Möglichkeiten.

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