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#„Comandante“: Paramount+ Original zeigt den männlichen Kriegswahnsinn

Pierfrancesco Favino als
„Comandante“ eröffnet die 80. Internationalen Filmfestspiele von Venedig. Foto: Enrico De Luigi/ Venice International Film Festival

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Der Weltkriegsfilm „Comandante“ eröffnet die 80. Internationalen Filmfestspiele von Venedig. In dem Paramount+ Original geht es um männlichen Wahn und Heldenmythen auf hoher See.

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Die 80. Film-Biennale in Venedig beginnt im freien Fall. Ein Mann und die Kamera stürzen aus dem Himmel hinab ins Meer, schlagen auf der Wasseroberfläche auf, tauchen ein in die Fluten. Versinken und Auftauchen, Sterben und Wiederauferstehen. In „Comandante“ wird dieser Prozess mythisch beladen. Sisyphos wird da erwähnt, der berühmte Gefangene im ewigen Kreislauf aus Mühe und Enttäuschung. Salvatore Todaro, der titelgebende Comandante, gespielt von dem Italiener Pierfrancesco Favino („Suburra“), wird ganz andächtig, als er an diesen Mythos erinnert wird.

„Faschismus ist Schmerz“, sagt man ihm zu Beginn, als man seinen Körper mit festgezogenen Gurten malträtiert, die diesen Getriebenen fortan zusammenhalten sollen. Auf seine Behinderung soll er auch noch stolz sein, gibt ihm seine Geliebte zu verstehen. Von einem Rückzug in das Private will er jedoch nichts wissen. Schließlich ruft die Pflicht! „Comandante“ begleitet Todaro und seine Besatzung hinaus auf hohe See, es ist das Jahr 1940, der Zweite Weltkrieg wütet. Edoardo De Angelis hat damit die wahre Geschichte des italienischen U-Boot-Kommandanten Todaro verfilmt und blickt auf bedenkliche innere Beschaffenheiten.

Pierfrancesco Favino als "Comandante" Todaro im U-Boot
Pierfrancesco Favino spielt den Kommandanten Salvatore Todaro. Foto: Enrico De Luigi/ Venice International Film Festival

„Comandante“ erzählt von entrücker Kriegsrealität

In drei Akte zerfällt das von Paramount+ koproduzierte Weltkriegsdrama. Der erste Akt ist als Groteske zu verstehen. Es handelt von den irren Männlichkeiten, die im Krieg ihren Lebenssinn entdecken wollen. Man singt gemeinsam reißerische Lieder, beackert das U-Boot halbnackt, beschmutzt, reißt halbstarke Witze, sinniert von den daheimgebliebenen Frauen. Mit beschlagenden Gasmasken hockt man aufeinander, wenn es brenzlig wird. Zuvor überlegt man lautstark: Sind wir wirklich Arschlöcher? Andauernd werden pathetische innere Monologe gesprochen, die von allem und nichts handeln wollen. Man schwadroniert von der Familie, von Sexualität, von Religion und Gewalt.

Hier sind Männer am Werk, die sich für überlebensgroß halten, die meinen, die Last der Welt pflichtbewusst auf ihren Schultern zu tragen, während die Frauen nur sehnsuchtsvoll im Hafen auf ihre Abreise in Richtung Tod blicken können. Alles hat sich dem vermeintlich größeren Prinzip und den Führergestalten unterzurodnen. Dass darin ein schwarzer Witz, eine entlarvende Strategie bezüglich der kriegerischen, faschistischen Männlichkeitsideologie steckt, erkennt man bereits an einer frühen verträumten Szene, in der sich der „Comandante“ nackt mit seiner Frau in eine Badewanne legt – nur bekleidet mit einer Offiziersmütze. Das Uniformieren, der faschistische Code als lustvolles Schauspiel und pervertierte Sexfantasie.

Befremdliches Trick-Spektakel

Der Alltag im U-Boot orientiert sich mühsam sich in einer Welt, die in Gewalt versinkt. Man schießt auf entfernte, anonyme Ziele, die nur in Stellvertreterschaft für den großen Feind begriffen werden. Wenn Flugzeuge auf das Schiff zudonnern, wenn man sich Schusswechsel auf offener See liefert oder den Feind in der Ferne brennen sieht – dann ist das beachtlich schlecht getrickst. Bedeutet: Die digitalen Tricks, mit denen dieses Spektakel inszeniert wird, sind jederzeit als solche erkennbar. Somit sind das passend befremdliche Videospiel-Bilder für eine entrückte Kriegsrealität.

Irgendwann geht es um das nackte Überleben und an diesem Punkt beginnt der zweite große, der eigentlich zentrale Akt. Die Besatzung von Todaros Boot schießt ein belgisches Handelsschiff ab. Überlebende treiben hilflos, schreiend und verzweifelt im Wasser. Später klopfen sie an die Metallwand des U-Boots. Was also tun? Sich den eigenen Regeln und dem Gehorsam gegenüber der angeeigneten Ideologie widersetzen und die Fremden aufnehmen?

Pierfrancesco Favino als "Comandante" in einer Badewanne
Foto: Enrico De Luigi/ Venice International Film Festival

Elend auf hoher See

Der groteske Tonfall wird in diesen Momenten ganz ernst; vorherige Bemühungen einer Dekonstruktion wollen zum empathischen Drama verwachsen. Edoardo De Angelis zeigt dabei Aufnahmen vom elenden Verrecken, von schierer Todesangst. Gestalten sitzen jammernd da und werden von den Naturgewalten verschlungen. Die Kamera taucht hautnah ein in diese Situationen, in denen alles auf dem Spiel steht. Als die beiden Menschengruppen dann im Boot aufeinandertreffen, droht die Lage inmitten all der gegenseitigen Anfeindungen vollends zu eskalieren.

Einen Kontrast zu diesem gewalttätigen Szenario zu eröffnen, zu zeigen, wie ideologische Hintergründe in einem Miteinander aufgelöst werden können – das ist die konsequente Provokation und Lösung, welche „Comandante“ letztlich anbietet. Es ist zugleich sein großer Fehltritt, weil all die widersprüchliche Tonalität vereinfachend auseinanderfällt. Sie lässt selbst kaum eine Ahnung durchblicken, wie sie sich zu ihrer bisherigen Konstruktion verhalten will. Aller Konflikt vergeben und vergessen beim gemeinsamen Frittieren von Pommes Frites?

Pierfrancesco Favino in Uniform vor einer Gruppe Soldaten
Foto: Enrico De Luigi/ Venice International Film Festival

Halbgares Statement für die Filmfestspiele von Venedig

„Comandante“ kann sich kaum verwehren, dass er mit diesen erst humorvoll, dann hemmungslos melodramatischen Versöhnungsszenen seiner Antikriegsbotschaft einen Bärendienst erweist. Man kann Krieg und Faschismus als Zustand und Weltbild damit nicht künstlerisch aufbrechen! Man festigt ihn lediglich als übergroßes, basales System, in dessen Rahmen man ein paar konservative Heldenmythen und Bilder der erweckten Kameradschaft zelebriert. Mehr noch: In dem ein schräger Anschein des Guten gesucht werden will.

Die 80. Internationalen Filmfestspiele von Venedig wollen mit „Comandante“ offensichtlich ein starkes Statement an ihrem Beginn positionieren. Gerade in einer Zeit, die nicht nur von einem Krieg in Europa, sondern auch von einem umfassenden Wiedererstarken rechten Gedankenguts geprägt ist. Letztlich ist das ein bisweilen imposanter, mitreißend inszenierter Historienfilm, der jedoch den letzten, eigentlich notwendigen Schritt in Richtung einer Satire oder einer filmischen Zerstörung der Brutalität scheut. Alles, um am besten jedes Lager im Kinosaal irgendwie besänftigen zu können: die Geschichtsverklärer und ihre Kritiker gleichermaßen.

Träumen von Meerjungfrauen

Dieser fatale letzte Beigeschmack, den die tränenziehenden, rührseligen finalen Momente von „Comandante“ provozieren, wäre nicht nötig gewesen, hätte man sich auf die Beobachtungsgabe früherer Sequenzen verlassen. Denn das lässt sich kaum leugnen: Es gibt durchaus einige herausragende ambivalente Eindrücke in diesem Film!

Wenn etwa Quallen im trüben Wasser umhergleiten, während Explosionen in der Ferne pulsieren. Alles geht seinen Gang in der Natur, sie schaut nur unbeteiligt zu – bis das Boot das Bild zerschneidet. Oder wenn sich ein Besatzungsmitglied opfert, um das Kriegsgerät von einer bedrohlichen Seemine zu befreien. Immer wieder wird dort per Voiceover das Tragische in regelrechten Litaneien gesucht; man plappert sich innerlich noch bis in den Tod. Fantasien im Angesicht des Untergangs. Vielleicht findet mich eine Meerjungfrau, denkt der Taucher, während er ins Dunkel des Meeres verschwindet.

„Comandante“ feierte seine Premiere als Eröffnungsfilm der 80. Internationalen Filmfestspiele von Venedig. Ein Veröffentlichungstermin für das Paramount+ Original ist derzeit noch nicht bekannt.

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Von

Janick Nolting

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