Wissenschaft

Wie das große menschliche Gehirn entstand

Wir Menschen haben im Verhältnis zu unserer Körpergröße ein außergewöhnlich großes Gehirn. Dieses gilt als Grundlage für unsere höheren kognitiven Fähigkeiten. Doch welche Gene sind für unser außergewöhnliches Hirnwachstum verantwortlich? Eine neue Studie zeigt nun, wie zwei Gene, die nur beim Menschen vorkommen, während der Embryonalentwicklung zusammenspielen und dafür sorgen, dass sich neuronale Vorläuferzellen verstärkt vermehren. Die Erkenntnisse geben neue Einblicke in die Entwicklung des einzigartig menschlichen Gehirns.

Im Laufe der letzten zwei Millionen Jahre hat das menschliche Gehirn beträchtlich an Größe gewonnen. Vor allem der Neocortex, ein Teil des Großhirns, der als Sitz unserer höheren kognitiven Funktionen gilt, ist bei uns dreimal größer als bei unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen. Bereits frühere Studien hatten gezeigt, dass einige nur beim Menschen vorkommende Gene für das außerordentliche Wachstum und die starke Faltung der menschlichen Großhirnrinde sorgen. Beteiligt sind demnach unter anderem Gene der sogenannten NOTCH2NL-Familie. NOTCH-Gene sind im Tierreich weit verbreitet und steuern das Wachstum verschiedener Organe. Die einzigartig menschlichen Varianten verhelfen unserem Gehirn zu seiner Größe. Wie genau sie das Wachstum ankurbeln, war allerdings noch unklar.

Zwei Gene im Funktionstest

Ein Team um Nesil Eşiyok vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen hat nun untersucht, wie ein Mitglied dieser Genfamilie, genannt NOTCH2NLB, mit einem weiteren, benachbarten Gen namens NBPF14 zusammenspielt. Um die Funktion dieser Gene herauszufinden, injizierten die Forschenden die mRNA-Baupläne für die entsprechenden Genprodukte in die Gehirnzellen von Mäuseembryos. Nach 24 und 48 Stunden beobachteten sie, wie sich die auf Basis dieser genetischen Bauanleitungen produzierten menschlichen Proteine auf die Entwicklung des embryonalen Mäusegehirns auswirkten.

Im Einklang mit früheren Studien stellten Eşiyok und ihr Team fest, dass NOTCH2NLB dafür sorgt, dass sich die Vorläuferzellen der Gehirnzellen stärker vermehren und sich zu immer neuen Vorläuferzellen teilen. Mäuseembryos, die den Bauplan für NOTCH2NLB bekommen hatten, hatten somit einen größeren Pool dieser Zellen zur Verfügung. Mehr Vorläuferzellen allein genügen jedoch nicht, damit tatsächlich ein größeres Gehirn entsteht. Wichtig ist zudem, dass sich die Vorläufer weiterentwickeln, um schließlich Nervenzellen zu bilden.

Vermehrung und Weiterentwicklung

Hier kommt das Gen NBPF14 ins Spiel, dessen Funktion bislang noch weitgehend unbekannt war. Wie die Forschenden herausfanden, sorgt NBPF14 dafür, dass sich die Vorläuferzellen in einen anderen, weiter fortgeschrittenen Typ von Vorläuferzellen umwandeln, die später zu Neuronen werden. „Wenn NBPF14 und NOTCH2NLB zusammen exprimiert werden, üben sie koordinierte Wirkungen aus, die dazu führen, dass sich die erste Stufe von Vorläuferzellen zur nächsten Stufe weiterentwickelt, während gleichzeitig ein großer Pool der ursprünglichen Vorläuferzellen erhalten bleibt und sich selbst erneuert“, berichtet das Team.

Die gleiche Aufgabenverteilung der beiden Gene zeigte sich, als die Forschenden ihre Ergebnisse zusätzlich an sogenannten Gehirnorganoiden überprüften, die sie aus Stammzellen von Schimpansen gezüchtet hatten. „Das besondere an unserer Studie ist, dass sich die Ergebnisse aus Tierversuchen und Alternativmethoden ideal ergänzen und gegenseitig bestätigen“, sagt Eşiyoks Kollege Michael Heide. „Das unterstreicht nicht nur die hohe Aussagekraft unserer Ergebnisse, sondern könnte auch dazu beitragen, in Zukunft den Bedarf an Tierversuchen zu verringern, indem Alternativmethoden weiterentwickelt, verfeinert und bestätigt werden.“

Quelle: Nesil Eşiyok (Deutsches Primatenzentrum GmbH, Leibniz-Institut für Primatenforschung, Göttingen) et al., Science Advances, doi: 10.1126/sciadv.ads7543

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Wissenschaft kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!