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#Wie das Ladenlokal zum Hotelzimmer wird

„Wie das Ladenlokal zum Hotelzimmer wird“

Wenn Theresia Kohlmayr durch Wien spaziert, hat sie selten Augen für neoklassische Fassaden, schmucke Kirchenportale, üppig dekorierte Schaufenster oder eine der vielen Hinweistafeln, nach denen Ludwig van Beethoven auch unter dieser Adresse vor 200 Jahren einmal gemeldet war.

Andreas Mihm

Wirtschaftskorrespondent für Österreich, Ostmittel-, Südosteuropa und die Türkei mit Sitz in Wien.

Der Blick der 35-Jährigen gilt eher jenen Objekten, über die andere achtlos hinwegsehen: verhängte Eingangstüren, vergilbte Fensterscheiben, verblichene Reklametafeln, deren blättrig gewordener Lack längst nicht mehr für Maßschneidereien, Tabaktrafiken oder eine der in Wien allgegenwärtigen Lampenschirmmanufakturen wirbt.

Kohlmayrs Interesse am Leerstand ist ein professionelles: Die Architektin führt einen Hotelbetrieb, dessen Zimmer ebenerdig über die Stadt verstreut sind. Und weil das, was in Köln Veedel heißt und in Berlin der Kiez ist, in Wien als Grätzl bezeichnet wird, liegt der Name auf der Hand: Grätzl-Hotel. Nur dass es kein großes Gebäude voller einförmiger Zimmer ist, mit Rezeption, Lobby, Bar und Frühstücksbuffet, sondern sich über seine Nachbarschaft erstreckt und diese einbezieht. In Kohlmayrs Worten: „Die vertikale Anordnung eines Hotels horizontal im Grätzl verteilt.“ Mit der Stadt als Foyer.

„So herrschaftlich wohnt man in einem Kettenhotel nicht“

Der Satz zeigt, dass die Idee nicht weinselig in einem Wiener Heurigen gefunden, sondern ausgebrütet wurde in Seminarräumen der Architektur-Uni. „Unsere Philosophie kreist um die Nutzung urbaner Räume, die Wiedernutzung leer stehender städtischer Gewerberäume als Gästeunterkünfte und die Vernetzung unserer Gäste mit der Stadt.“ Nicht zufällig nennt sich die Betreibergesellschaft als Gastgeber fürs innerstädtische Navigieren Urbanauts GmbH.

Das klingt komplexer, als es ist: Leer stehende Ladenlokale werden renoviert, mit Bad, Betten, schallisolierten Innenfenstern und stabilen Eingangstüren ausgestattet. Dabei versucht Kohlmayr den ursprünglichen Charakter der Unterkunft beizubehalten. Das frühere Schneideratelier wirkt wie auf Hochglanz poliert, in der ehemaligen Künstlerunterkunft lugen rote Mauerziegel kantig und roh unter weißem Putz hervor. Manche Zimmer kommen auf 4,5 Meter Deckenhöhe. „So herrschaftlich wohnt man in einem Kettenhotel nicht“, sagt Kohlmayr.

Einst ein leeres Ladenlokal: ebenerdiges Grätzl-Hotelzimmer in Wien


Einst ein leeres Ladenlokal: ebenerdiges Grätzl-Hotelzimmer in Wien
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Bild: Mafalda Rakos

Verköstigung gibt es keine, allenfalls eine Kitchenette in den größeren, dann bis zu 35 Quadratmetern messenden Zimmern. Dafür gibt es Handreichungen für Frühstückslokale und Bier-Beisel in der Nachbarschaft, Bars und Klubs. Das alles steht in einer Willkommensmail, die der online buchende Gast zwei Tage vor der Anreise bekommt, einschließlich Adresse und Nummer für den Schlüsseltresor am Eingang.

Nicht mehr genutzte Ladenlokale gibt es Hunderte in Österreichs Hauptstadt. Nach Zählung der Wirtschaftskammer Wien (WKW) waren es diesen Sommer an die 350. Den durch diesen Leerstand entgangenen Umsatz beziffert die Kammer auf 300 Millionen Euro im Jahr.

In Wahrheit wird er wohl größer ausfallen. Denn zählt man jene ungenutzten Lokale dazu, die nicht auf den Internetseiten der WKW aufgelistet sind, dürften es doppelt so viele sein. Nicht eingerechnet jene, die schon jetzt nur noch als Müllraum oder Materiallager dienen. Das zeigt das große Reservoir. Sollte man jedenfalls meinen.

Aber oft hätten die Eigentümer in den gesuchten 1-b-Lagen kein Interesse an einer Vermietung, sagt Kohlmayr. „Die machen das Geld mit der Wohnungsvermietung und investieren in den Ausbau der Dachgeschosse.“ Manche hielten die Geschäftslokale auch zurück, um daraus später Garagen machen zu können. Es ist aber auch das ungewöhnliche Geschäftskonzept, das viele Eigentümer gewöhnungsbedürftig finden. „Dass Gäste wirklich gerne an der Straße schlafen, das muss ich ihnen genau erklären.“

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