Wie die EU die nächste Waffengeneration fördern will

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Zwei Monate lang haben die Mitgliedstaaten über das neue EU-Rüstungsprogramm verhandelt, an diesem Dienstag sollen sie den Plan beschließen. SAFE wird es genannt, ein Akronym für „Security Action for Europe“. Die EU-Kommission will den Staaten in den nächsten fünf Jahren 150 Milliarden Euro an zinsgünstigen, langfristigen Darlehen zur Verfügung stellen, um gemeinsame Beschaffungsvorhaben im Rüstungsbereich zu unterstützen.
Das Geld dafür wird sie sich selbst am Kapitalmarkt leihen. Allerdings ist diese Finanzierung gar nicht der wichtigste Aspekt des Programms. Es interessieren sich nämlich auch eine Menge Staaten – und Unternehmen – dafür, die gar keinen Anspruch auf finanzielle Unterstützung haben.
Deutlich wurde das am Beispiel des Vereinigten Königreichs. Vor einer Woche trafen sich Premierminister Keir Starmer und die EU-Spitzen in London, um einen „Neustart“ in ihren Beziehungen zu verkünden. Das wichtigste Ergebnis war eine Sicherheits- und Verteidigungspartnerschaft zwischen beiden Seiten. Darin sind allerlei Felder festgelegt, auf denen sie enger kooperieren wollen, darunter Rüstungsinitiativen.
Der Abschluss war dringend, weil London beim SAFE-Programm einen Fuß in die Tür bekommen will – und das geht nur über eine solche Partnerschaft. Sie ermöglicht es der britischen Regierung, gemeinsam mit mindestens einem EU-Staat, der einen EU-Kredit bekommt, ein gemeinsames Beschaffungsprogramm für Rüstungsgüter aufzulegen.
Die EU erhofft sich davon eine „Bündelung der Nachfrage“, wie es in der SAFE-Verordnung heißt. „Sie würde auch die Interoperabilität von Systemen und Produkten unterstützen, die von den engsten Partnern der Union in diesem Bereich eingesetzt werden, und den teilnehmenden Mitgliedstaaten ermöglichen, bessere Preise zu erzielen.“ Das liegt natürlich im beiderseitigen Interesse. Das Programm soll der wichtigste Hebel sein, um die europäische Rüstungsindustrie zu konsolidieren – und so die Abhängigkeit von den USA zu verringern. Darin liegt seine strategische Bedeutung.
EU will ukrainische Rüstungsindustrie für sich nutzen
Im Einzelnen gibt es dabei Abstufungen. Den Kern der „industriellen Basis für europäische Rüstungstechnologie“, wie es im EU-Jargon heißt, machen die Mitgliedstaaten selbst aus. Nur sie dürfen Darlehen beantragen. Dafür müssen sie binnen sechs Monaten einen Antrag bei der EU-Kommission stellen und einen Investitionsplan einreichen. Auf dieser Grundlage entscheidet Brüssel dann über die Vergabe der Kredite. Möglich sind mehrere Runden. Die letzte Rate soll bis Ende 2030 ausgezahlt sein.
Für mehrere Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, ist diese Art der Finanzierung nicht interessant, weil sie sich auf dem Kapitalmarkt mit nationalen Anleihen günstiger Geld beschaffen können. Trotzdem werden diese Staaten aller Voraussicht nach an dem Programm teilnehmen – weil es die nächste Generation europäischer Waffensysteme hervorbringen soll. Sie müssen sich nur mit einem Land zusammentun, das ein SAFE-Darlehen beantragt.
Neben den 27 Mitgliedstaaten dürfen sich die vier Staaten der Europäischen Freihandelsassoziation beteiligen – Norwegen, die Schweiz, Island und Liechtenstein – sowie die Ukraine. Auch davon erhofft man sich einen wechselseitigen Nutzen. Einerseits braucht Kiew neue Waffen, andererseits hat es eine preisgünstige Rüstungsindustrie aufgebaut, deren Erzeugnisse sofort auf dem Schlachtfeld erprobt werden können. Über diesen inneren Kreis von 32 Staaten hinaus steht das Programm allen Beitrittskandidaten offen und solchen Drittstaaten, mit denen die EU eine Sicherheitspartnerschaft geschlossen hat. So kommen auch Japan, Südkorea und das Vereinigte Königreich ins Spiel. Gespräche über weitere Abkommen laufen nach F.A.Z.-Informationen mit Australien und Indien.
All das betrifft die Möglichkeit, gemeinsam Waffen zu beschaffen. Es gibt aber noch eine zweite Dimension von SAFE: Wer darf sich auf Ausschreibungen bewerben, die mit Darlehen gefördert werden? Um diesen Punkt wurde in den Verhandlungen am meisten gerungen. Dabei drang Frankreich darauf, dass die Wertschöpfung vor allem in der EU stattfindet, während international verflochtene Staaten wie Deutschland auf Öffnungsklauseln drangen. Das Ergebnis ist ein typischer Kompromiss. Jeder hat etwas bekommen, keiner alles, und manches bleibt noch auszuhandeln.
Hersteller müssen Designhoheit haben
Die Faustregel der „europäischen Präferenz“ lautet: Der Hauptauftragnehmer muss seinen Sitz in einem der 32 Staaten des inneren Kreises haben. Zudem sollen Bauteile einer Waffe, die außerhalb dieses Kreises hergestellt wird, maximal 35 Prozent ihres Gesamtwerts ausmachen. Das gilt für Munition und Lenkflugkörper, für Artilleriesysteme, für Bodenkampffähigkeiten, kleine Drohnen und zugehörige Abwehrsysteme, den Schutz kritischer Infrastruktur, das Cyberspace und militärische Mobilität.
Für eine zweite Kategorie von Waffen kommt noch ein weiteres Erfordernis hinzu: Die Hersteller müssen die Designhoheit für das Produkt besitzen, also Komponenten, auch aus Drittstaaten, ersetzen, entfernen oder modifizieren können. Das soll „Made in Europe“ sicherstellen – und dürfte vor allem für US-Unternehmen zu einem Problem werden. In diese Kategorie fallen Luft- und Raketenabwehrsysteme, Kriegsschiffe, U-Boote, größere Drohnen, strategische Befähiger wie Lufttransport und Gefechtsfeldaufklärung, außerdem Künstliche Intelligenz und elektronische Kampfführung.
Davon gibt es keine Ausnahme, wohl aber von der Faustregel zum Sitz und zum maximalen Produktionsanteil. So können Beitrittskandidaten und Drittstaaten mit einer Sicherheitspartnerschaft mit der EU eine weitere Vereinbarung über die Beteiligung ihrer Industrie aushandeln. Im Einzelfall dürften sich dann auch Unternehmen auf Ausschreibungen bewerben, die im Vereinigten Königreich sitzen. Mit der Vereinbarung würde auch der maximale Produktionsanteil außerhalb der EU festgelegt – es könnten bis zu 65 Prozent sein. Im Gegenzug wird die EU auf einen reziproken Marktzugang dringen, damit sich europäische Unternehmen gleichermaßen auf Ausschreibungen in Drittstaaten bewerben können. Außerdem wird ein finanzieller Beitrag der Drittstaaten fällig, in noch unbekannter Höhe.
In London sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der Abschluss einer solchen Vereinbarung sei „eine Frage von Wochen“. Schwieriger sieht es für die Türkei aus. Sie verfügt zwar über eine leistungsfähige Rüstungsindustrie, die weitgehend ohne US-Komponenten auskommt – das wäre für die EU hochinteressant. Jedoch gilt für Beitrittskandidaten, dass eine solche Zusatzvereinbarung nur mit der Zustimmung aller Mitgliedstaaten geschlossen werden darf. In Brüssel rechnen Kenner damit, dass Zypern dies hintertreiben wird. Dann kämen türkische Hersteller nur noch als Zulieferer infrage.
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