#Wie die Musik auf den Computer kam
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„Wie die Musik auf den Computer kam“
So sehen Investorenmärchen aus: Im Jahr 2006 kommt Daniel Ek (Edvin Endre), einem Weltverbesserer-Typen mit Programmierer-Gen und unternehmerischem Weitblick, in Stockholm eine Start-up-Idee, die die globale Musikvermarktungsindustrie revolutionieren könnte. Leider glaubt an seine Idee des legalen kostenfreien Musikstreamings nur sein früherer Geschäftspartner Martin Lorentzon (Christian Hillborg), Häme gibt es im Dutzend billiger. Martin freilich ist der alerte Typ im Nadelstreifenanzug, der Banken erfolgreich bequatscht, der Start-ups ihren Businessplan verpasst und dafür brennt, geniale Ideen in solide Geschäftsmodelle zu überführen.
Sein charakterlicher Unique Selling Point ist die standfeste Glaubwürdigkeit, unerlässlich in der Frühzeit neuer Unternehmen, später oft als obsolet betrachtet. Daniel, das Mastermind, bringt eine weitere Person mit. Andreas Ehn (Joel Lützow), einen Daniel Düsentrieb des Programmierens. Es ist die Zeit, in der immer mehr vor allem junge Leute das illegale Downloaden von Musik als Widerstand gegen die großen Player der Plattenindustrie verstehen und Firmen wie Sony, Universal oder Warner länger schon empfindliche Umsatzeinbußen verzeichnen.
Mehr oder weniger händeringend, wird nach neuen Geschäftsmodellen der Musikvermarktung gesucht. Während Per Sundin (Ulf Stenberg), Chef von Sony Schweden, nach Feierabend seine Wurlitzer-Musikbox die Lieblingsplatten auflegen lässt und tagsüber Mitarbeiter entlässt, verkünden andere den Tod der CD oder stehen vor Gericht, wie die Betreiber der Download-Plattform von „Pirate Bay“.
Daniel Ek macht, was Businessgenies tun, vernetzt Bedürfnisse und Probleme und erfindet Spotify. Ein heute börsennotiertes Unternehmen, größter Musikstreaminganbieter der Welt, der auf seiner Investoren-Website für das Jahr 2021 9,67 Milliarden Euro Umsatz bilanziert. 82 Millionen Musiktitel und 4 Millionen Podcasts stehen hier zur Verfügung (2021), basierend auf einem „Freemium“-Modell. Basisdienste sind werbefinanziert und kostenfrei, Premiumangebote bieten Zusatzleistungen und Datenauswertungen. Mindestens in wirtschaftlicher, technologischer und auch netzpolitischer Hinsicht ist die Geschichte von Spotify bemerkenswert.
Es ist die Story, die der Börse gefällt
Es ist eine David-gegen-Goliath-Geschichte, in der nerdige Coder Plattenbossen den Schneid abkaufen und die Mediennutzung auf den Kopf stellen. Und sie ist nicht wirklich wahr, oder jedenfalls nur in Teilen, oder nur aus einer bestimmten Perspektive. Es ist die Story, die der Börse gefällt, und dem Erfinder. Es gibt andere Schilderungen, die sich mit der vermeintlichen Heldengeschichte nur partiell decken und in manchen Punkten gar nicht. Jede der beteiligten Hauptfiguren, so erzählt es die schwedische Netflix-Serie „The Playlist“, hat ihre eigene Story. Sechs Hauptfiguren, sechs Varianten der Wahrheit. Und ein Ende, das den Fiktionscharakter aller sechs Geschichten bei aller Treue gegenüber den faktischen Eckpunkten betont.
Denn „The Playlist“ erzählt Kampf, Aufstieg und Kritik an Spotify im Zeitrahmen von 2006 bis 2025, also in die Zukunft hinein. Diese Zukunft gehört nicht den jetzigen oder früheren Unternehmenssprechern, sondern einer Musikerin, die auf Spotify vertreten ist. Wobei Bobbie T. (Janice Kamya Kavander) nicht irgendeine „Creatorin“, sondern – in der Serie – mit Daniel Ek zur Schule gegangen ist. Er hat sie immer als Künstlerin bewundert. 2006 besucht er ihr Konzert in einem kleinen Klub. Sie ist seine Inspiration.
Fast zwanzig Jahre später tritt sie immer noch in Bars auf. Mit intimen, kraftvollen und melancholischen Liedern, die unter die Haut gehen und denen die letzte Serienfolge, „Bobbie T.“, viel Zeit und Raum widmet. Die Zielrichtung ist offensichtlich: Im Zentrum der finalen Folge steht der Respekt gegenüber den Künstlern. Also das, womit der semifiktive Daniel Ek in der ersten Folge „Daniel“ als enthusiastischer Entrepreneur startet. Ein Respekt, den er, so fächern es die weiteren Folgen auf, gründlich verriet. So dass nun eine neue David-gegen-Goliath-Geschichte erzählt werden muss, mit Musikern als David und Spotify als dem Goliath, der die Vergütungsmodelle diktiert.
„The Playlist“ basiert auf dem Sachbuch „Spotify Untold“ der schwedischen Wirtschaftsjournalisten Sven Carlsson und Jonas Leijonhufvud. Die Serie enthält alles, was ein gutes (Wirtschafts-)Drama braucht: Ideale, Enthusiasmus, verratene Überzeugungen, Sündenfälle, Wachstumszwänge, die Erklärung juristischer Rahmenbedingungen, die Träume von Computernerds, einen mephistophelischen Pakt und Befreiungsaktivismus. Sie erzählt auch eine Wegstrecke lang Geschichten der Publikums-Internetnutzung, belebt anschaulich Coder-Vorstellungswelten, ohne im Autistenklischee zu versumpfen.
Entwickelt von Luke Franklin und geschrieben von Sofie und Tove Forsman, inszeniert sich jede der sechs Folgen tatsächlich als Part einer Playlist mit sechs Songs. Sechs Interpreten (Ideengeber Daniel, Plattenboss Per Sundin, Lizenzenanwältin Petra Hansson (Gizem Erdogan), Coder Andreas und Musikerin Bobbie) treten auf mit jeweils unterschiedlichem filmischen Sound, mit erkennbarer filmästhetischer Handschrift, eigenem Refrain und persönlicher Coda (Regie Per-Olav Sorensen).
Fragen des Urheberrechts, auch des Datenschutzes, werden in dieser sechsfach bespiegelten Unternehmenshistorie so konkret gemacht und spannend erzählt, wie es Nutzer mit Affinität zum reinen Kriminalgenre kaum für möglich halten mögen. Was in der ersten Folge aus der Sicht des fiktiven Daniel Ek mit Aufstiegsnostalgie beginnt, führt am Ende zu wichtigen unerledigten Fragen. Die Kunst, hier die Musik, kommt weiter nach Brot, abgesehen von einigen Gegenbeispielen. Gratismentalität ist Trumpf. Daran hat auch Spotify wenig geändert. Manche meinen: im Gegenteil.
The Playlist startet heute bei Netflix.
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