#Wie die Trainer den HSV und St. Pauli wachküssten
„Wie die Trainer den HSV und St. Pauli wachküssten“
Es ist ein reizvolles Gedankenspiel, dass sich Daniel Thioune in diesen Tagen auf sein erstes Hamburger Derby vorbereitet – als Trainer des FC St. Pauli. Verbrieft ist, dass sich Andreas Bornemann zum Ende der vergangenen Saison ernsthaft mit Thioune „beschäftigt“ hat, wie der Sportchef des FC gerade bestätigte. St. Pauli suchte damals Jos Luhukays Nachfolger. Das Rennen machte bekanntlich der Hamburger SV, und Thioune unterschrieb im Volkspark, nicht bei St. Pauli.
Dass beide Klubs, die an diesem Freitag (18.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur 2. Fußball-Bundesliga und bei Sky) aufeinandertreffen, mit Jos Luhukay und Dieter Hecking weitgehend erfolglos auf das Modell namhaft und erfahren gesetzt hatten, ließ sie nach einem anderen, ähnlichen Typus fahnden: Es sollte einer sein, der im Nachwuchs gearbeitet hat, einer, der mit jungen Spielern kann – ohne die Entwicklung der Älteren zu vernachlässigen. Thioune, 46 Jahre alt, hat dies in vielen Jahren beim VfL Osnabrück nachgewiesen.
Bei St. Pauli fiel die Wahl auf Timo Schultz, nachdem Thioune vom Markt war. Der 43 Jahre alte Cheftrainer hatte zuvor erfolgreich die U 19 des Klubs angeleitet. Bornemann, so heißt es, musste zu seinem Glück gezwungen werden; erste Wahl war der neue Coach am Millerntor nicht. Doch der Saisonstart mit nur einer Niederlage in sechs Spielen und bemerkenswerten Comeback-Qualitäten hat die Zweifel an Schultz’ Fähigkeiten fürs Erste zerstreut.
Im Umfeld des HSV fragte sich auch mancher, ob Sportchef Jonas Boldt denn nun wirklich einen Trainer aus Osnabrück holen müsse, um den Aufstieg zu bewerkstelligen. Mit solchem Misstrauen muss dem selbstbewussten Vorstand keiner kommen. Boldts Stichworte sind Ambition und Entwicklung; er traute Thioune allemal zu, erfahrene Spieler wie Aaron Hunt oder Khaled Narey auf ein neues Level zu führen. Bisher hat das mit der Maximalausbeute an Punkten gut geklappt – Hunt wirkt austrainiert und geht weite Wege nach hinten. Narey spielt unter Thioune wie befreit. Im Tor sorgt Boldts Transfercoup Sven Ulreich für Stabilität.
Es wäre allerdings falsch, den überzeugenden Saisonstart nur Einzelnen zuzuordnen. Unter Thioune spielt die ganze Mannschaft in selten gesehener Variabilität. Er setzt Spieler auf unterschiedlichen Positionen ein, er ändert die Grundordnung während der Partie. Fehlte bislang Stammpersonal verletzt oder gesperrt, übernahm jemand von der Bank – und überzeugte. Das spricht dafür, dass Thiounes tägliche Arbeit bei den Profis ankommt und sie bereit sind, dazuzulernen. Legendär ist schon jetzt die Frage eines Profis vom FC Erzgebirge Aue, der beim 0:3 in Hamburg vor zehn Tagen während des Geschehens nachfragte: „Was spielt ihr hier eigentlich?“
Er spricht am liebsten über Fußball: St. Paulis Trainer Timo Schultz
:
Bild: dpa
Thioune hat den HSV unberechenbar gemacht. Das ist auch eine Ableitung aus der Analyse der Vorsaison. Heckings 4-3-3 war irgendwann durchschaut. Die Gegner stellten sich immer besser darauf ein. Der HSV war zum Saisonende entschlüsselt und stürzte wieder ab.
Bei St. Pauli führte die Entfremdung zwischen Trainer und Mannschaft zum Flirt mit dem Desaster. Inzwischen ist die Gewissheit zurück, eine Einheit zu sein – in Bochum, gegen Nürnberg und zuletzt in Darmstadt münzte der FC Rückstände in Punktgewinne um. Unerklärliche Einbrüche, gespickt mit individuellen Aussetzern wie in der Vorsaison, sind weitgehend ausgeblieben. Dass nach Gegentoren keine Niederlagen folgten, lag auch daran, dass Timo Schultz mutig wechselte und im Spiel umstellte. Er will durch taktische Vielfalt Unordnung beim Gegner erzeugen.
Es ist ohnehin einiges in Bewegung geraten bei den Paulianern mit einigen neuen, jungen Spielern wie dem auffallend mutigen Rodrigo Zalazar (Leihgabe aus Frankfurt) und zwei Assistenztrainern, die mit je 27 Jahren Frischlinge im Profibetrieb sind und für Innovation stehen.
Trainer ohne die ganz beeindruckende Profi-Karriere, Trainer, die den langen Weg über den Nachwuchs genommen haben, um in der zweiten Liga anzukommen: Das passt aktuell zu beiden Klubs. Unterschiede zwischen Thioune und Schultz gibt es natürlich trotzdem jede Menge. Schultz sucht seine Rolle in der Öffentlichkeit noch. Er spricht am liebsten über Fußball.
Thioune öffnet sich, hat häufig eine Botschaft, wenn er redet. So lieferte er den „Spruch des Jahres“ der „Akademie für Fußball-Kultur“. Noch als Osnabrücker Coach hatte er 2019 zum Thema Bakery Jatta gesagt: „Wer es nicht schafft, gegen den HSV zu punkten, sollte nicht auf dem Rücken eines Flüchtlings, der niemandem etwas getan hat, versuchen, einen Vorteil herauszuholen, sondern besser auf die eigenen sportlichen Fehler schauen.“
Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.
Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.