#Wie ein Formel-1-Pilot
„Wie ein Formel-1-Pilot“
Wer nicht radeln darf, muss reden. So ist das an den Ruhetagen der Tour de France. Und so saß auch Wilco Kelderman, der niederländische Kapitän des deutschen Teams Bora-hansgrohe, am Montag in Andorra vor einer Kamera. Zoom-Pressekonferenz. Corona eben. Kelderman liegt nach 15 Etappen dieser 108. Frankreich-Rundfahrt in der Gesamtwertung auf Rang sechs, nur 58 Sekunden hinter dem Zweiten, dem Kolumbianer Rigoberto Uran. Der Führende, Tadej Pogacar, ist schon 6:16 Minuten enteilt, aber auch ein Podiumsplatz wäre für Kelderman und sein Team ein enormer, bislang nicht erreichter Erfolg.
Dienstag, Mittwoch, Donnerstag – drei weitere Bergetappen in den Pyrenäen stehen nun auf dem Programm, harte Tage, an denen jeder Anflug von Schwäche bestraft wird. „Ich bin bisher gut durchgekommen“, sagt Kelderman. „Hinter Pogacar sind einige Fahrer auf fast dem gleichen Niveau. Wir haben jetzt drei schwere Etappen, um die Unterschiede herauszufahren. Ich hoffe, dass mir das gelingt.“ Es geht um Platz zwei, um den ersten wird es wohl nicht mehr gehen, aber wer weiß, ein Sturz, eine Schwächephase, ein Infekt – auch Pogacar, der Mann in Gelb, kann noch in Bedrängnis kommen.
Kelderman, 30 Jahre alt, hat offenbar sein Glück gefunden im Team von Bora-hansgrohe-Chef Ralph Denk. Wenn nicht Glück, so doch Vertrauen in diesem harten Geschäft. Und daran vor allem hatte es ihm gemangelt bei seinem letzten Arbeitgeber, dem Team Sunweb, von dem er Anfang des Jahres zu Denk wechselte. Dass er ein Rundfahrer mit Potential ist, war in der Szene bekannt. Kelderman war Weltmeister im Mannschaftszeitfahren, hatte bei der Spanien-Rundfahrt die Plätze vier, sieben und zehn belegt und seinen größten Aufritt hatte er im vergangenen Jahr, als er beim Giro d’Italia als Dritter aufs Podium fuhr. Dabei wäre sogar mehr möglich gewesen. Sunweb hatte im Giro-Finale nicht auf den Führenden Kelderman, sondern auf dessen Teamkollegen Jai Hindley gesetzt, eine Stallregie, die den Mann aus Utrecht überraschte. „Man hat über mich bestimmt, als wäre ich ein Roboter“, sagte er später. So fiel ihm der Abschied vom Team Sunweb, das seinen Vertrag nicht verlängerte, leicht. Außerdem bot ihm Bora-hansgrohe die Perspektive, als Kapitän in die Tour de France zu gehen.
Denk hatte Kelderman schon länger beobachtet auf seiner Suche nach einem Fahrer neben Emanuel Buchmann, der für vordere Platzierungen bei den großen Rundfahrten in Frage kommt. Der Podiumsplatz beim Giro war ein Grund, das Gespräch zu suchen. Der andere waren Informationen, die in der kleinen Welt des Radsports nicht schwer zu bekommen sind, Informationen über Keldermans Leistungswerte. Die Zahlen sprachen für ihn. Der Niederländer ist ein Mann der Tat, weniger der Worte. „Er ist nicht der Typ, der die großen Reden raushaut“, sagt Denk. „Aber wir lieben auch solche Fahrer, die ganz harte Arbeiter sind und ihrem Beruf alles unterordnen.“ Keldermans Engagement geht bis ins Detail. „Er gibt den Trainern eine Menge Input, was Trainingsplanung, Periodisierung und anderes betrifft“, sagt Denk. „Er ist wie ein Formel-1-Fahrer, der sich mit seinen Ingenieuren ständig austauscht. Wir sind sehr zufrieden mit ihm, das ist ein gutes Miteinander. Seine Leistungen bestätigen das. Aber wer beim Giro aufs Treppchen fährt, der hat auch schon bewiesen, dass er was kann in unserem Sport.“
Mo. – Fr. um 16.00 Uhr; Sa. – So. um 18.00 Uhr
Kelderman hat die Härte des Radsports schon oft am eigenen Leib erfahren. Schwere Stürze und Verletzungen pflastern seinen Weg. Auch im Bora-Trikot knallte es gleich heftig. In einem Trainingslager im Januar zog er sich bei einem Zusammenprall mit einem Auto Verletzungen an der Wirbelsäule zu und fiel lange aus. Es war, wie das Rad-Portal Wielerflits vorrechnete, die 17. Krankheit oder Verletzung, die Kelderman in den vergangenen sieben Jahren zu einer längeren Pause zwang. „Wenn man seinen Oberkörper anschaut“, sagt Denk, „sieht man, dass es da doch schon oft eingeschlagen hat.“ Nun hoffen sie bei Bora-hansgrohe, dass der Niederländer die dritte Tour-Woche ohne Sturz und Erkrankung übersteht.
Drei Etappen jetzt also noch in den Pyrenäen. „Priorität hat dort erst mal Wilco“, sagt Denk. „Ihn wollen wir bestmöglich unterstützen.“ Patrick Konrad und Buchmann sind als erste Helfer eingeplant, aber es kann auch anders kommen.
„Wenn die Situation passt“, sagt Denk, „kann auch der ein oder andere sein Heil in der Flucht suchen, so wie das Nils Politt bei seinem Etappen-Sieg in Nimes gemacht hat.“ Wenn sich die Gelegenheit ergibt, dürfen Buchmann oder Konrad auf Etappensieg fahren. In der Gesamtwertung sind beide weit abgeschlagen. „Es ist Teil des modernen Radsports, dass man nicht nur Rang fünf oder sechs absichert“, sagt Denk, „sondern dass man auch versucht, die Helfer ein Stück weit zu motivieren und ihnen zumindest tageweise freie Fahrt gibt.“ Denk setzt in den Pyrenäen viel auf die Karte Kelderman, zwei Joker im Ärmel will er dann aber doch behalten.
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