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#Wie ein Kinderheim aus Mariupol nach Deutschland kam

„Wie ein Kinderheim aus Mariupol nach Deutschland kam“

Endlich hat es geklappt mit der Telefonverbindung aus dem lippischen Örtchen Stapelage in die Ukraine. Wie könnte Olga Artych da noch ruhig auf ihrem Stuhl sitzen? Während sie ihr Handy fest ans Ohr drückt, geht sie in der Wohn­küche des ehemaligen Behindertenheims der Freien Evangeliums-Christen-Gemeinde auf und ab. Artych ist stellvertretende Leiterin des protestantischen Kinderheims „Der gute Samariter“ in Mariupol. Mit einem Großteil ihrer Schützlinge ist sie seit wenigen Tagen 2600 Kilometer entfernt in Sicherheit. Doch plötzlich ist das Grauen wieder ganz nah.

Während einige Kinder lachend um sie herumtoben und Köchin Elena Kornejeva damit beginnt, das Abendessen zu richten, bekommt Artych von ihrem Pastor die neuesten Schreckensnachrichten aus der Heimat. Mariupol im Südosten der Ukraine wird seit vier Wochen von Putins Truppen erbarmungslos belagert und systematisch zerstört.

Artych legt auf und besteht darauf, ordentlich vom köstlichen ukrainischen Kartoffelsalat aufzutischen. Dann beginnt sie zu erzählen. Nach dem Kriegsbeginn am 24. Februar dachte sie wie viele in Mariupol noch, es gelte einfach, stark zu sein. „Ein paar Tage im Bunker, dann ist alles vorbei.“ Artych zeigt Bilder und einen Handyfilm, auf dem Jungen und Mädchen singend und betend im Keller des Kinderheims zu sehen sind. „Für die Kinder schien das zunächst wie ein Abenteuer. Aber dann wollten sie gar nicht mehr nach oben, weil der Bombenhagel kaum nachließ. Der Strom fiel aus und die Heizung. Uns war klar, wir müssen die Kinder in Sicherheit bringen.“

32 Heimkinder zwischen fünf und 18 Jahren

Also fiel der Entschluss, mit möglichst dem ganzen Kinderheim samt Erzieherinnen und Köchin sowie deren Kindern in Privatautos zu flüchten, insgesamt 48 Personen, davon 32 Heimkinder zwischen fünf und 18 Jahren. Raus, nur raus – auch wenn Artych keine Ahnung hatte, wohin. Es war ein Aufbruch ins Ungewisse, ein Abschied von den Männern und volljährigen Söhnen, die verpflichtet sind, ihr Land zu verteidigen.

Der erste Fluchtversuch am 28. Februar musste abgebrochen werden. Obwohl die Erzieherinnen auf die Autoscheiben in großen Buchstaben „Kinder“ geschrieben und weiße Tücher an den Außenspiegeln befestigt hatten, ging der Beschuss weiter. „Wir haben kehrtgemacht, die Kinder im Keller wieder in Sicherheit gebracht, bevor wir es ein paar Stunden später noch mal wagten und gottlob durchkamen. Zwei Tage später ist dann der zweite Teil von uns aufgebrochen“, sagt die aus Berlin stammende Sascha Melekhina, die mit im Konvoi flüchten konnte, weil ihr Mann im Kinderheim „Der gute Samariter“ arbeitet. Überall zerschossene Panzer, brennende Militärfahrzeuge, tote russische Soldaten, tote Zivilisten. „Die Kinder haben Sachen gesehen, die Kinder nicht sehen sollten.“ Und dazu die dauernde Angst, ob die Fahrt raus aus Mariupol nicht gleich wieder enden würde.

Die stellvertretende Heimleiterin Olga Artych zeigt Videos aus der Ukraine


Die stellvertretende Heimleiterin Olga Artych zeigt Videos aus der Ukraine
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Bild: Patrick Slesiona

Im Schneckentempo ging es im kilometerlangen motorisierten Flüchtlingstreck von einem russischen Checkpoint zum nächsten. Als am letzten Ukrainisch gesprochen wurde, war die Erleichterung unendlich groß. Um so schnell wie möglich ins etwas mehr als 200 Kilometer entfernte Saporischschja zu kommen, wagte die Gruppe halsbrecherische Manöver. „Wir überholten, wann immer es ging, mit Vollgas im Gegenverkehr“, sagt Artych. „Erst in Saporischschja haben wir uns einigermaßen sicher gefühlt.“

Auf der Flucht starb plötzlich die Mutter

Vierzehn Tage zog sich der Exodus hin. „Wegen der Ausgangssperre, die von 17 Uhr und mancherorts schon von 16 Uhr an gilt, kamen wir nur in kleinen Etappen voran.“ Und dann starb unterwegs ganz plötzlich Olga Artychs Mutter. In einer fremden Stadt musste Artych sie begraben. Ob sie je an ihr Grab zurückkehren kann, weiß sie nicht. Sie spricht lieber über ihre Heimkinder, zeigt ein Video, auf dem einige von ihnen singend in einer Kirche in Dnipropetrowsk zu sehen sind. Es folgen Bilder aus Satu Mare in Rumänien, wo alle Kinder wieder zusammenkamen. Vor dem Grenzübertritt hatte Artych lange auf den zweiten, von Autopannen geplagten Teil des Konvois gewartet, dem obendrein das Geld fürs Benzin auszugehen drohte.

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Dass die Flucht in Stapelage enden würde, einem Ortsteil von Lage in der Nähe von Detmold, war erst am siebten Tag klar. Sascha Melekhina hatte Erika Rosenfeld, ihrer Freundin aus Berliner Tagen, von unterwegs Textnachrichten geschickt. Als Rosenfeld erfuhr, dass der Konvoi keinen Zufluchtsort hatte, schrieb sie spontan: „Dann kommt zu uns!“

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