#Wie eine Finte einen Weltmeister ungeniert ausbootet
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„Wie eine Finte einen Weltmeister ungeniert ausbootet“
Immer wenn er denkt, er habe im Boxgeschäft schon genug erlebt, ereilt Mahmoud Charr die nächste Zumutung. Vor einer Woche hatte der Kölner Schwergewichtler syrisch-libanesischer Herkunft schon am Frankfurter Flughafen logiert, um von dort aus in die Vereinigten Staaten zu gelangen. Laut dem von ihm unterschriebenen Kampfvertrag sollte er in Hollywood, Florida, seinen Titel eines regulären Champions der World Boxing Association (WBA) gegen den 31-jährigen amerikanischen Profi Trevor Bryan verteidigen. Dafür hatte er nicht nur Zahnbürste und Wäsche, sondern auch alle medizinischen Unterlagen einschließlich eines frischen Covid-19-Tests eingepackt. Trainer und Cutman waren für den Ernstfall in den Stand-by-Modus versetzt.
In der ersten Titelverteidigung von Mahmoud Charr steckt der Wurm drin.
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Bild: dpa
Am Donnerstag aber erfuhr Charr, dass er das für seinen Start benötigte P1-Visum nicht erhalten werde, da er sein Engagement nicht nachweisen könne. Es fehlte die Signatur des amerikanischen Promoters, der die Rechte an der Veranstaltung im März 2020 für zwei Millionen Dollar regelrecht ersteigert hatte. Der heißt Don King und hat die Lücke im Vertragswerk offenbar nicht ganz zufällig offengelassen. Denn zum vereinbarten Termin im Seminole Hard Rock Hotel & Casino zog die Don King Promotion am Freitag mit dem 42-jährigen Bermane Stiverne auf einmal einen anderen Gegner für Herausforderer Bryan aus dem Hut. Dieser hat zwar drei seiner letzten vier Ringduelle verloren und war nur sporadisch aktiv. Dafür ist er ebenso wie Bryan ein Schützling von King.
Vom Weltmeister zum Anwärter
Das alles wäre nur unverschämt, aber nicht desaströs gewesen, hätte der Weltverband den Titelträger im Nachgang geschützt. Tatsächlich geschah das Gegenteil: Die WBA erklärte Bryan nach dessen Abbruchsieg (Runde 11) in einem offiziellen Schreiben zum neuen, regulären Weltmeister – und taufte Charr zum „Champion in Recess“, was so viel wie Titelhalter im Wartestand bedeutet. Dazu erlegte sie Bryan auf, den WM-Gürtel in den nächsten 120 Tagen gegen Charr zu verteidigen. So ist aus dem WBA-Weltmeister übers Wochenende ein WM-Anwärter der WBA geworden, ohne dass ihn ein Widersacher im Ring entthront oder ein besonderer Grund (Krankheit, positiver Corona-Befund) zurückgehalten hätte.
Selten ist ein Titelträger in dem allzeit ruchbaren Sport so ungeniert ausgebootet worden – und so vorhersehbar. Schon zum 12. Januar hatte das Management des 36-jährigen Kölners eine Pressemitteilung mit Warneffekt abgesetzt. Darin wurden Medienvertreter darüber informiert, dass King bisher keinerlei Kontakt zu Charrs Hamburger Promoter Erol Ceylan oder sonst wem in Deutschland aufgenommen habe. Weder Flugtickets noch Hotelbuchungen oder eine Liste mit Presseterminen waren je eingetroffen. Außerdem wusste im designierten Veranstaltungshotel in Hollywood auf Anfrage niemand von einer Boxveranstaltung zum 29. Januar. „Wir müssen annehmen, dass er (Don King) Charr um seinen Titel bringen und in seiner Karriere behindern will“, lautete das Fazit der Meldung.
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Charr selbst versicherte darin selbstbewusst, er sei „200 Prozent fit und bereit zu kämpfen“. Und: „Der Titel bleibt bei uns in Deutschland.“ Nun ist er trotzdem in den Vereinigten Staaten, was Promoter Ceylan so nicht hinnehmen will. Er und sein Team haben ihm zufolge „alles unternommen und alle Forderungen erfüllt, damit der Kampf am 29.1. hätte stattfinden können“. Deshalb will sich Ceylan in der Sache alle Optionen offenlassen. „Wir machen den Kampf gegen Bryan“, sagt sein Sprecher: „Parallel werden wir trotzdem juristischen Rat einholen.“
Schwierige Titelverteidigung
Charrs erste Titelverteidigung ist eben ein Thema, in dem der Wurm steckt. Seit der technisch eher zweitklassige, aber mutige Profi (31 Siege, 4 Niederlagen) zum Herbst 2017 überraschend die WM-Krone gegen den wenig renommieren Russen Alexander Ustinov erobern konnte, stolpert er immer wieder über eigene Fehler, Verletzungen – und die Manöver von King. Der inzwischen 89 Jahre alte Promoter mit dem glänzend-schlechten Ruf machte damals vehement geltend, dass sein zuletzt inaktiver Schützling Fres Oquendo in der Reihenfolge der Herausforderer übersehen worden sei. Seither versucht die WBA, ihm mit konzilianten Entscheidungen entgegenzukommen. Dazu gehörte, dass sie vor zwei Jahren mit Bryan plötzlich einen anderen King-Protegé als Herausforderer für Charr akzeptierte. Der hatte sich gegen limitierte Gegner einen makellosen Rekord aufgebaut, ohne dabei irgendwem zu imponieren.
Mit Bryans Anerkennung zum regulären Champion aber haben die fragwürdigen Manöver nun selbst für WBA-Verhältnisse eine neue Qualität erreicht. Offenbar bestimmt nicht sie, wer gegen wen antritt – sondern genau jener Promoter, der schon seit Jahren im Verdacht steht, sie verdeckt zu alimentieren. Das geht in dem Fall eindeutig zu Lasten von Charr: Er hat seinen Titel in gut 38 Monaten nicht einmal zu Markte tragen können. Aufgeben will der streitbare Kölner aber auf keinen Fall. „Stark sein bedeutet nicht, nie zu fallen“ lautet eine der Weisheiten, die er für jeden Fall parat hat. „Stark sein bedeutet, immer wieder aufzustehen.“
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