#Wie er den Klavierstuhl zurechtrückt!
Inhaltsverzeichnis
Das Klavier mit seiner fünfhundertjährigen Geschichte von den Orgelpionieren der Renaissance über Bach und die Virtuosen des neunzehnten Jahrhunderts bis heute übt noch immer eine ungebrochene Faszinationskraft aus. Anders ist es kaum zu erklären, dass nun kurz hintereinander in Luzern gleich zwei neue Klavierfestivals ins Leben gerufen worden sind, beide mit Erfolg: im Februar „Le Piano Symphonique“, getragen vom Luzerner Sinfonieorchester und mit einer illustren Schar von Gastsolisten, und nun das „Klavierfest“, ein saisonaler Ableger des Lucerne Festivals. Kuratiert wird es von Igor Levit, der als regelmäßiger Gast des sommerlichen Festivals hier eine treue Anhängerschaft findet. Sein viertägiges Pianistentreffen brachte eine bunte Mischung von Bekanntem und Unbekanntem, gespielt solo oder im Duo mit Interpreten aus seinem Freundes- und Schülerkreis. Durchgängig erkennbar war sein Bestreben, das angeblich elitäre Konzertritual zum Alltag hin zu öffnen. Oder „aufzubrechen“, wie ein beliebtes Schlagwort der Sechzigerjahre-Avantgarde lautet.
Vor vier Jahrzehnten hat auch Friedrich Gulda im „Münchner Klaviersommer“ demonstriert, wie dieses Aufbrechen geht. Wenn der lebensfrohe Wiener mit seinem Hippiekäppchen und der dicken Uhr am Handgelenk sich an den Flügel setzte, zauberhaft Mozart spielte und dann gemeinsam mit Chick Corea und Nicolas Economou eine Stunde lang improvisierte, waren die Schranken zwischen Musiker und Zuhörer im Nu eingerissen. Entscheidenden Anteil daran hatte Guldas unkomplizierte, die Herzen öffnende Ansprache ans Publikum.
Igor Levits Körpersprache wirkt
Levit, der durch Social Media gestählte Kommunikator und Influencer, wirkt dagegen in der verbalen Kommunikation erstaunlicherweise eher gehemmt. Dafür weiß er umso gezielter die Körpersprache einzusetzen. Und das wirkt. Das Publikum liegt ihm zu Füßen und reagiert auf jede demonstrative Handbewegung, etwa wenn er den Klavierstuhl zurechtrückt, mit begeistertem Raunen. Die Anbetung des Solisten als Magier und Genie verwandelt sich in die überschwängliche Sympathie für einen Künstler, der mit performativem Understatement für einen neuen, leichteren Ton im Konzertsaal sorgt.
Doch Levit ist kein Dogmatiker und ließ die russische Pianistin Anna Vinnitskaya auch in einem traditionellen Rezital auftreten. Sie begann mit der selten gehörten Klavierfassung des Orgelstücks „Prélude, fugue et variation“ op. 18 von César Franck und brillierte dann in Alexander Skrjabins fünfter Sonate und in „La Valse“ von Maurice Ravel mit einer grandios entfalteten Pianistik – ein Glanzlicht in diesem Klavierfest.
Trotz zwinkerndem Nicht-elitär-Sein-Wollen machte es Levit dem Publikum nicht leicht. In seinem Soloabend schien er das Image des kühlen Schnell- und Geradeausspielers, das er tags zuvor im Duo mit Alexei Volodin mit Mozarts Sonate D-Dur KV 448 noch bekräftigt hatte, demonstrativ abschütteln zu wollen. Er begann auf tief nachdenkliche Weise mit den von Max Reger für Klavier eingerichteten „Vier ernsten Gesängen“ von Brahms und setzte den Tonfall dann fort in der Klavierfassung des Kopfsatzes aus der unvollendeten zehnten Symphonie von Gustav Mahler. Das sehr lange Adagio, das schon in der Orchesterfassung Zerrissenheit, Trauer und helle Verzweiflung ausstrahlt, wirkt in der Nacktheit des Klaviersatzes noch verstörender. Dass Levit sich dieses schwer verdaulichen Stücks angenommen hat, gereicht ihm zur Ehre.
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