#Wie kam der Sklavenhändler wieder zu Ehren?
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„Wie kam der Sklavenhändler wieder zu Ehren?“
Seit März 2020 setzen sich zwei Vereine dafür ein, das Erfurter Nettelbeckufer in Gert-Schramm-Ufer umzubenennen. Joachim Nettelbeck (1738 bis 1824) war als Obersteuermann auf niederländischen Versklavungsschiffen am transatlantischen Menschenhandel beteiligt, er hat versucht, drei preußische Könige zum Erwerb von Kolonien zu bewegen. Wegen seiner Rolle bei der Verteidigung Kolbergs gegen Napoleon im Jahr 1807 wurde er zum Volkshelden des deutschen Nationalismus und zur Propagandaikone der Nationalsozialisten.
Kolonialismus und Nationalsozialismus
Während die Gedächtnisfigur Nettelbeck Kolonialismus und Nationalsozialismus auf der Täterseite verbindet, findet sich diese Verknüpfung bei Gert Schramm (1928 bis 2016) auf der Opferseite: Er war ein schwarzer Überlebender des Konzentrationslagers Buchenwald, dessen Vorfahren väterlicherseits nach Kuba versklavt worden waren. Für sein Engagement als Zeitzeuge gegen rechts wurde er 2014 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Die Umbenennung der Straße hätte auch die denkbar stärkste lokale Verankerung: Gert Schramm wurde am Erfurter Nettelbeckufer geboren.
Unter Bezugnahme auf die Erfurter Initiative hat die Stadt Dortmund im Dezember 2020 beschlossen, ihre Nettelbeckstraße umzubenennen, im August 2021 folgte Berlin mit derselben Entscheidung für den dortigen Nettelbeckplatz. In Erfurt selbst ist die Lage einigermaßen verfahren. In diesem Herbst soll es einen Runden Tisch geben, an dem Befürworter und Gegner der Umbenennung gemeinsam nach Lösungen suchen.
In Köln: Schild der dortigen Nettelbeckstraße.
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Bild: picture alliance / ZB
Dabei weist das Erfurter Nettelbeckufer eine Besonderheit auf, die im lokalen Umbenennungsstreit noch nicht hinreichend berücksichtig wurde: 1905 entstanden, wurde es schon einmal umbenannt, nämlich 1950 in Goerdelerufer, nach Carl Friedrich Goerdeler (1884 bis 1945), einem führenden Vertreter des konservativen Widerstands gegen Hitler. 1956 wurde Nettelbeck als Namensgeber reaktiviert. Wie konnte es zu dieser Rückbenennung kommen?
Die Erfurter Archive schweigen zu dieser Frage. Und auch dass Goerdeler in den frühen fünfziger Jahren bei der DDR-Historiografie in Ungnade fiel, erklärt die Tatsache der Rückbenennung nicht ohne Weiteres. Eine Antwort findet sich dagegen in einem Aufsatz, den der Historiker Thomas Stamm-Kuhlmann 2017 in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft veröffentlicht hat: In der frühen DDR gab es eine positive Rezeption der antinapoleonischen Kriege, die Teil einer Propagandaschlacht gegen die Westbindung der Bundesrepublik war. Schon 1952 gab Walter Ulbricht die Devise aus: „Der nationale Befreiungskampf gegen die amerikanischen, englischen und französischen Okkupanten in Westdeutschland und für den Sturz ihrer Vasallenregierung in Bonn ist die Aufgabe aller friedliebenden und patriotischen Kräfte in Deutschland.“
Ernst Moritz Arndt und die Uni Greifswald
Ostdeutschland kennt eine prominente Parallelgeschichte zum Erfurter Nettelbeckufer: diejenige der Universität Greifswald. Unmittelbar nach der Machtübertragung an die NSDAP wurde die Universität 1933 nach Ernst Moritz Arndt (1769 bis 1860) benannt, dem Publizisten, Dichter und Historiker, der im frühen deutschen Nationalismus ein führender völkisch-antisemitischer Hassprediger gewesen war. 1945 verlor sie ihren Namen, um ihn dann 1954 mit Zustimmung der höchsten SED-Kreise zurückzuerlangen. Erst 2018 wurde Arndt nach jahrelangem Kampf von Teilen der Professorenschaft als Namensgeber erneut aus dem Verkehr gezogen – gegen den Widerspruch von Bundeskanzlerin Angela Merkel, der damaligen örtlichen Bundestagsabgeordneten.
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