#Wie man eine Girlband zerlegt: der ARD-Film „Boom“ mit KI-Assistenz
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KI als Teil der Kunst: Für ihren Film „Boom“ haben sich die Macherinnen einen Sprachassistenten programmieren lassen, mit dem man Szenen improvisieren kann.
Man darf sich erst einmal gruseln: Eine Produktion, die „das gegenwärtige Revival der Neunziger- und Nullerjahre in Fashion und Musik mit aktuellen Diskursen über KI-Anwendungen“ verbindet – so steht es auf der MDR-Website in der Ankündigung des „KI-Experiments“ „Boom – Eine Band, 1000 Probleme“. Eine „SciFi-Dramedy“, wie man weiter erfährt.
Dieser Zuschreibungssalat täuscht darüber hinweg, dass sich dahinter knapp eine Stunde flottes und dichtes Fernsehen verbirgt. In dass man bei der ARD allerdings wieder nur so viel Vertrauen hat, dass man sein „Experiment“ linear an einem Samstag (genau genommen schon Sonntag) um 0.30 Uhr im MDR versenkt.
An dieser Stelle sei kurz der Hinweis erlaubt: Liebe ARD, es gibt zwischen euren beiden scheinbaren Hauptzielgruppen-Sorgenkindern Ü 65 (gehobene Mittelschicht) und U 30 (gehobene Mittelschicht) auch noch Menschen, die sich durchaus über kluges, frisches und mutiges Programm im linearen Fernsehen freuen würden (es dort aber nicht erwarten). Denn wenn der Laptop endlich heruntergefahren ist, wäre für diesen vergessenen Teil des Publikums die gute alte Glotze, die man einfach nur anknipsen muss, manchmal eine ernst zu nehmende Konkurrenz zum x-ten Streamingangebot.
Nicht nur lose inspiriert von Tic Tac Toe
Auch linear, auf einer hinreichend großen Mattscheibe, kann und sollte sich „Boom“ durchaus sehen lassen – nicht zuletzt weil die Bilder satt und elegant durchkomponiert sind, wenn auch mitunter etwas aufdringlich. Aber das liegt wohl in der Natur der Geschichte, die sie erzählen: Die „Girlband“ Boom – Sue (Via Jikeli), Peggy (Lea Drinda) und Izzy (Sira-Anna Faal) – steht eine Stunde vor einer der wichtigsten Pressekonferenzen der Bandgeschichte. Ihre Managerin Alex (Collien Ulmen-Fernandes) hängt nach verdorbenen Austern „überm Eimer“ und Bandassistentin Paule (Alicia von Rittberg) muss die Kuh nun allein vom Eis holen.
Etwas unfairerweise will sich dieses „Kammerspiel“ durch die „letzten dramatischen Minuten der berühmten 90er-Band Tic Tac Toe“ inspiriert wissen, deren Ende vor laufender Kamera aus heutiger Sicht mit Blick auf die Verantwortlichen durch den Begriff „verantwortungslos“ nur unzureichend beschrieben ist. Aber es war – davon kündet aktuell das lesenswerte Buch „MTViva liebt dich!: Die elektrisierende Geschichte des deutschen Musikfernsehens“ von Markus Kavka und Elmar Giglinger – eben eine wilde Zeit. Und diese versuchen Hanna Seidel (Regie), Sina Diehl (Kamera) sowie Martina Chamrad und Julia Hingst (Drehbuch) nun in die Zukunft zu projizieren. Und was schreit dieser Tage mehr nach Zukunft als jedes Raumschiff oder Terraforming-Projekt auf dem Mars? KI. Im Film tritt sie in Form eines kugelförmigen Lautsprechers mit gedimmtem Leuchtauge auf, der bald als „Boom“-Merchandise auf den Markt kommen soll.
Zwar ist das Szenario – großer Auftritt, zerstrittene Band – bekannt, doch der Gag ist neben einem ziemlich genialen Kostümbild der, dass für den Film ein Sprachassistent entwickelt wurde, der auf Grundlage verschiedenster Informationen zu den fiktiven Figuren selbständig mit den Schauspielerinnen am Set improvisiert. Die Idee, eine echte KI auch in fiktiven Formaten als KI auftreten zu lassen, verbreitet sich gerade (auch die japanische Schriftstellerin Rie Kudan nutzte für ihren mit dem Akutagawa-Preis ausgezeichneten Roman „Tokyo-to Dojo-to“ an den entscheidenden Stellen ChatGPT), aber das spielt für „Boom“ kaum eine Rolle. So wie auch die KI allenfalls als geschickt integrierter Stichwortzufallsgenerator fungiert, als dass sie selbst zur Figur würde.
Entscheidend ist das befreite und spontane Schauspiel des weiblichen Ensembles, das es schafft, dieser fiktiven Girlband eine glaubwürdige Vergangenheit zu verleihen, und gleichzeitig geschickt mit Klischees jongliert. Man würde auch gern mehr von Collien Ulmen-Fernandes als genervter Managerin sehen: „Ich kenn ’ne super Privatklinik in Brandenburg“, sagt sie zur möglichen Auflösung der Band, während Alicia von Rittberg sich glaubwürdig ihre Rolle als Mutter der Kompanie erobert. Auch das Zusammenspiel zwischen Gehörtem und Gezeigtem wird im Schnitt plastisch hervorgehoben. Übertrieben haben sie es indes mit der Schlagzahl der Hits aus einer Zeit, als der Glamourfaktor ihrer Interpreten noch ernst zu nehmen war. Doch obwohl Nostalgie auf Zukunftsangst trifft, ist etwas Frisches dabei herausgekommen. Bravo.
Boom ist in der ARD-Mediathek und bei ardkultur.de zu sehen sowie am Samstag, 10. Februar, um 0.30 Uhr im MDR.
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