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Wie Senioren den Umgang mit dem Smartphone lernen

Sie haben ihre Handys gezückt und vor sich auf den Tisch gelegt. Fast ein Dutzend Senioren ist zusammengekommen im Versammlungsraum des Familienzentrums der Arbeiterwohlfahrt Darmstadt im Heiner-Lehr-Zentrum. Hergelockt hat sie die Digitale Sprechstunde, die hier seit einem Jahr angeboten wird. Drei Frauen sind zum ersten Mal gekommen.

Überhaupt sind die Damen deutlich in der Überzahl. Und sie haben viele Fragen: Wie bediene ich mein Smartphone richtig, wie bekomme ich Handyfotos auf das Notebook, ist die Bank-App sicher? Das sind nur einige der drängenden Begehren. Doch bevor es in die Einzelberatung geht, gibt es zum Einstieg ein Impulsreferat – heute zum Thema Phishing.

Die digitale Sprechstunde der Darmstädter AWO ist einer von inzwischen 60 hessenweiten Stützpunkten, an denen sogenannte Di@lotsen älteren Menschen dabei helfen, digitale Anwendungen zu lernen und zu nutzen. Die Landesregierung hat das Projekt 2021 in ressortübergreifender Kooperation von Staatskanzlei, Digital- und Seniorenministerium begonnen innerhalb ihrer Digitalstrategie.

Mehrzahl der alten Menschen digital abgehängt

Der Ansatz: „Vor allem ältere, digital nicht vertraute Menschen benötigen konstante und persönliche Angebote, um die digitale Welt zu begreifen und ihren Nutzen erleben zu können“, erklären beide Ministerien auf Anfrage. Denn Voraussetzung für eine Teilnahme am zunehmend digitalen Leben sei, dass auch ältere Menschen im Umgang mit digitalen Medien versiert sind.

Dass das für viele bislang nicht gilt, belegen diverse Statistiken. Das Hessische Statistische Landesamt nennt etwa Zahlen aus dem Mikrozensus von 2023. Die Frage nach der Internetnutzung in den vergangenen drei Monaten beantworteten 88 Prozent der Befragten mit Ja. Doch während dies die 16 bis 64 Jahre alten Befragten zu mehr als 90 Prozent bejahten, reduzierte sich der Anteil bei denen im Alter von 65 bis 74 Jahren auf 81 Prozent und bei Menschen in noch höherem Alter auf 46 Prozent.

Hessens Statistikbehörde verweist daneben auf eine Erhebung des Statistischen Bundesamts zur Ausstattung privater Haushalte mit Gebrauchsgütern aus dem Jahr 2022: Demnach verfügten in der Altersgruppe von 65 bis 69 Jahren 94,7 Prozent über einen Internetzugang und 82,5 Prozent über ein Smartphone. Bei den 70 bis 79 Jahre alten Bürgern waren das noch 89,4 und 77,9 Prozent, von den Achtzigjährigen und Älteren hatten 72,2 Prozent einen Internetzugang und 52,7 Prozent ein Smartphone.

Über Internet und Handy zu verfügen, heißt noch nicht, es auch nutzen zu können. Das wird im aktuellen Altersbericht des Bundesministeriums für Senioren vom Januar 2025 deutlich. Ihre Internetkompetenz schätzten von den Befragten im Alter zwischen 60 und 69 Jahren 49,7 Prozent als gut ein, bei den 70 bis 79 Jahre alten waren es nur 28,6 Prozent und nach dem 80. Lebensjahr nur noch 8,9 Prozent. „Auch die Studie ‚Hohes Alter in Deutschland‘ zeigt, dass die Mehrzahl der hochaltrigen Menschen digital abgehängt ist“, heißt es in der begleitenden Beschreibung.

Betreut die Digitallotsen: Anne Schmitt, stellvertretende Geschäftsführerin des Instituts für Medienpädagogik und Kommunikation Hessen.
Betreut die Digitallotsen: Anne Schmitt, stellvertretende Geschäftsführerin des Instituts für Medienpädagogik und Kommunikation Hessen.Lando Hass

Dabei deuteten Erkenntnisse aus der Studie von 2022 darauf hin, dass hochaltrige Menschen jenseits von 80 Jahren „mehrheitlich positive Einstellungen zu digitalen Technologien haben“. Daher gelte: „Gerade für benachteiligte gesellschaftliche Gruppen sollte der Zugang zu internetbasierter Technologie verbessert sowie Angebote zur Stärkung der Internetkompetenz ausgebaut werden.“

Bei der Digitalsprechstunde im Darmstädter AWO-Familienzentrum haben die Senioren zunächst dem Phishing-Kurzvortrag von Johannes Rost zugehört, Digitallotse im Freiwilligen sozialen Jahr. Im nächsten Moment sitzt der junge Mann mit schwarz geränderter Nerdbrille und Wuschellocken bei einem älteren Herrn und erklärt ihm, wie er auf seinem Smartphone ein Sicherheitsupdate macht.

„Ich habe das Handy vor einem Jahr von meinem Enkel bekommen und bin da noch nicht so richtig vertraut“, sagt der Rentner. Das hören Digitallotsen oft. „Wir sehen unsere Aufgabe in der Aufklärung“, sagt Barbara Lücke, die bis zu ihrem Renteneintritt AWO-Geschäftsführerin war und sich zur ehrenamtlichen Digitallotsin hat schulen lassen. „Da ist auch für uns viel Learning by Doing dabei.“

In ganz Hessen sind es inzwischen 550 „Di@lotsen“, die in 25 Landkreisen und kreisfreien Städten ältere Menschen durch die zunehmend digitale Welt begleiten. Das reicht von offenen Sprechstunden bis hin zu aufsuchenden Angeboten für weniger mobile Senioren.

„Zwangsdigitalisierung“ und “Altersdiskriminierung“

„Der Bedarf ist höher geworden“, sagt Anne Schmitt, stellvertretende Geschäftsführerin des Darmstädter Instituts für Medienpädagogik und Kommunikation, das das Projekt im Auftrag des Landes betreut. Durch die fortschreitende Digitalisierung in Dienstleistungen und Verwaltungen habe das eine andere Dringlichkeit erhalten. „Aber auch das Hilfsangebot ist größer und dichter geworden.“

Die Staatskanzlei nennt etwa das Förderprogramm „Senioren im Netz“, das Kommunen und Seniorenvertretungen beim Aufbau bedarfsgerechter Angebote unterstützt. Landauf, landab gibt es inzwischen einige Digitalsprechstunden und Internetcafés für Ältere. Und was die Frage des Effekts angeht, so stellt Schmitt für sich und die Digitallotsen fest: „Ich habe noch nie so eine Sinnstiftung erlebt wie bei diesem Projekt.“

Sie ist davon überzeugt, dass sie mit ihren Schulungen die Teilhabe der Senioren fördern. „Aber ich glaube auch, dass viele den Absprung nicht schaffen“, gibt sie zu bedenken. Viele gingen erst gar nicht zur Beratung oder könnten sich die Geräte schlichtweg nicht leisten. Auch verweist Schmitt auf die SIM-Studie von 2021 zum Medienumgang von Personen im Alter von mehr als 60 Jahren, wonach 19 Prozent das Internet gar nicht nutzten. Begründet worden sei das vor allem mit fehlendem Bedarf, aber auch mit Unsicherheit.

Und vor allem letztere ist es, die Klaus Reifert als Vorsitzender der Landesseniorenvertretung Hessen umtreibt. Nicht ihn persönlich: „Ich kann alles mit Rechner und Handy, ich habe damit kein Problem“, sagt der Neunundsechzigjährige. Aber auch er weiß um die vielen, die verunsichert sind und sich zunehmend abgehängt fühlen.

„Alles wird digitalisiert.“ Man bekomme kaum noch einen Arzttermin, ohne ins Internet zu gehen. Banken bauten Geldautomaten und Verkehrsverbünde Fahrkartengeräte ab und verwiesen auf Handy-Apps. Er spricht von „Zwangsdigitalisierung“ und „Altersdiskriminierung“.

Zwar lobt auch der Seniorenvertreter, dass es mittlerweile viele vor allem ehrenamtliche Hilfsangebote gibt. Aber dies vor allem in größeren Städten, während auf dem Land besonders viele abgehängt würden. „Man wird durch das ganze System in eine Ecke gestellt, das führt zu Vereinsamung“, kritisiert Reifert. „Das ist ein großes Problem.“

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