#Wie viel Methan die Nord-Stream-Lecks freisetzten

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Am 26. September 2022 sorgten mehrere Explosionen für Lecks an den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee. Dabei traten große Mengen Methan aus. Wie viel genau, war allerdings bislang unklar. Nun haben Forschende anhand von Modellrechnungen quantifiziert, dass wahrscheinlich rund 465.000 Tonnen Methan aus den Pipelines in die Atmosphäre entwichen – die bisher größte gemeldete Menge an Methan, die durch ein einzelnes von Menschen verursachtes Ereignis freigesetzt wurde. Eine begleitende Studie zeigt zudem, wie sich im Wasser gelöstes Methan in der Ostsee ausbreitete.
Nach der Zerstörung der Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2 durch Sprengladungen sprudelte etwa eine Woche lang das in den Pipelines enthaltene Erdgas an die Oberfläche. Bisherige Schätzungen, wie viel Methan dabei freigesetzt wurde, beruhten entweder auf Berechnungen auf Basis des Volumens der zerstörten Pipelines oder auf Messungen aus der Luft, von Schiffen oder mit Hilfe von Satelliten. Die Ergebnisse wiesen allerdings eine große Spannbreite auf. Je nach verwendeter Methode lieferten die Schätzungen Werte zwischen 75.000 und 509.000 Tonnen Methan. Unklar war zudem, welcher Anteil des freigesetzten Gases sich zunächst im Wasser gelöst hat und welche Auswirkungen dies potenziell hatte.
Größte jemals verzeichnete Menge Methan aus einem Einzelereignis
Ein Team um Stephen Harris vom International Methane Emissions Observatory des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP IMEO) in Paris hat nun ein Modell für die Emissionsraten nach Pipelinebrüchen erstellt und damit berechnet, wie viel Methan wahrscheinlich aus den Nord-Stream-Pipelines ausgetreten ist. „Unseren Berechnungen zufolge wurden 465.000 Tonnen Methan in die Atmosphäre emittiert“, berechnet das Team. Dieser Wert passt zu Emissionsschätzungen, die auf Messungen aus der Luft und von Satelliten basieren.
„Unseres Wissens nach handelt es sich dabei um die größte gemeldete Menge an Methan, die jemals bei einem vorübergehenden, von Menschen verursachten Einzelereignis freigesetzt wurde“, erklären Harris und sein Team. Bei dem zuvor größten vergleichbaren Ereignis, dem Leck des Gasspeichers Aliso Canyon in Kalifornien im Jahr 2015, wurden etwa 100.000 Tonnen Methan freigesetzt, weniger als ein Viertel der Emissionen aus den Nord-Stream-Lecks.
Kleiner Anteil an den Gesamtemissionen
An den Gesamtemissionen des Treibhausgases Methan hatte die Nord-Stream-Sprengung dennoch nur einen geringen Anteil: „Das freigesetzte Methan entspricht nur 0,1 Prozent der anthropogenen Methanemissionen für das Jahr 2022“, ordnen Harris und seine Kollegen ein. Allein die globale Öl- und Gasindustrie setzt die gleiche Menge an Methan standardmäßig innerhalb von zwei Tagen frei, die Landwirtschaft sogar in kaum mehr als einem Tag. „Die Auswirkungen der Leckagen auf das globale atmosphärische Methanbudget rücken die zahlreichen anderen anthropogenen Methanquellen in den Blickpunkt, die weltweit reduziert werden müssen“, so das Forschungsteam.
Doch auch abgesehen von den Auswirkungen auf den Treibhauseffekt könnte das in großen Mengen aus den Pipelines entwichene Methan die Umwelt beeinflusst haben. „Um die Reaktion des Ökosystems zu verstehen, sind Schätzungen der Methanausbreitung und -konzentration wichtig“, erklärt ein zweites Forschungsteam um Martin Mohrmann von der Voice of the Ocean Foundation in Schweden. „Ein großer Teil des Methans entkam schnell in die Atmosphäre, während eine unbekannte Menge im Wasser gelöst wurde.“

Im Wasser gelöstes Methan
Um diese in der Ostsee verteilte Gasmenge abzuschätzen, nutzten Mohrmann und sein Team hochauflösende Langzeitbeobachtungen der Methankonzentrationen im Wasser rund um die Lecks und an weiteren Stellen der Ostsee. Über drei Monate hinweg maßen sie mit autonomen Unterwasserrobotern und Schiffen, wie sich das Methan verbreitete. „Unsere Messungen zeigen, dass sich das Methan in weiten Teilen der südlichen Ostsee ausgebreitet hat, von der Küste Dänemarks im Westen bis zur polnischen Danziger Bucht im Osten“, berichtet Mohrmann. Dabei lagen die Methanwerte im Wasser kurz nach dem Leck teils tausendmal höher als normal.
Erst nach und nach wurde das Methan im Meerwasser verdünnt, von Bakterien verbraucht oder entwich in die Atmosphäre. Dennoch stellten Mohrmann und sein Team selbst Monate später in einigen Teilen der Ostsee noch deutlich erhöhte Methanwerte fest. „Insgesamt schätzen wir, dass über 14 Prozent der gesamten Ostsee einer Methanbelastung ausgesetzt waren, die mindestens fünfmal so hoch war wie normal“, sagt Mohrmann. Zu den betroffenen Gebieten zählten auch 23 Meeresschutzgebiete. „Wir kennen jetzt die Gebiete, in denen die Methanemissionen Auswirkungen gehabt haben könnten. Es wird dadurch einfacher festzustellen, ob ein zukünftiges Problem in den Ökosystemen der Ostsee beispielsweise mit dem Nord Stream-Leck zusammenhängt oder nicht“, sagt Co-Autor Bastien Queste von der Universität Göteburg.
Quellen: Stephen Harris (United Nations Environment Programme’s International Methane Emissions Observatory, Paris, Frankreich) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-024-08396-8; Martin Mohrmann (Voice of the Ocean Foundation, Västra Frölunda, Schweden) et al., Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-024-53779-0
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