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„Wir haben   nicht ewig Zeit“

Frau Ministerin, Sie haben noch vor Amtsantritt betont, dass der Umgang mit der AfD für Sie Priorität haben wird. Welchen halten Sie für richtig?

Einen rechtsstaatlichen. Die AfD ist keine Partei wie jede andere. Wir wissen jetzt: Der Verfassungsschutz ist überzeugt, dass die AfD „gesichert rechtsex­tremistisch“ ist. Deshalb müssen wir die Partei als mögliche Gefahr für unsere Demokratie sehr ernst nehmen. Dazu gehört unbedingt, ein Parteiverbot zu prüfen. Wichtig ist: Das Parteiverbot ist das schärfste Schwert, das unsere Demokratie gegen ihre organisierten Feinde hat. Man darf es nicht voreilig ziehen. Das heißt umgekehrt, wenn nach gründlicher Prüfung die Voraussetzungen dafür vorliegen, dann wäre es nur schwer vermittelbar, das Instrument nicht zu nutzen. Noch sind wir aber nicht an diesem Punkt.

An welchem Punkt sind Sie?

Das Bundesinnenministerium (BMI) muss zunächst das Gutachten auswerten. Auch das ist nur ein Schritt von mehreren. Denn eine rechtsextremistische Partei ist im Sinne des Grundgesetzes nicht automatisch verfassungswidrig. Verfassungswidrig ist eine Partei, wenn sie die Werte der Verfassung aktiv und planvoll bekämpft. Und ob das auf die AfD zutrifft, müssen wir zügig klären. Ob ein Verbotsverfahren Erfolg hätte, kann man im Voraus nie sicher wissen. Aber das gilt auch für andere Verfahren. Bei Strafprozessen steht eine Verurteilung am An­fang auch nicht fest. Trotzdem verzichtet der Rechtsstaat nicht auf An­klagen.

Die Angst vor dem Scheitern ist ein Argument gegen ein Verbotsverfahren. Ein anderes nimmt die vielen AfD-Wähler in den Blick. Kann man sie aus dem demokratischen Prozess ausschließen?

Da gibt es eine klare Antwort, wenn man zugrunde legt, was uns Grundgesetz und Bundesverfassungsgericht sagen: Es ist für ein Verbot irrelevant, wie viele Menschen eine Partei wählen, sobald sie eine gewisse Größe erreicht hat. Neben der rechtlichen Betrachtung geht es natürlich auch darum, die AfD politisch zu bekämpfen.

Viele AfD-Wähler sind ganz sicher keine Rechtsextremisten. Diese Menschen müssen wir zurückgewinnen – mit einem funktionierenden Staat, mit einer Regierung, die sich nicht öffentlich streitet, die handelt und auf die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger eingeht. Dass das gelingen kann, sieht man in Dänemark. Dort sind die Wahlergebnisse der rechtsautoritären Parteien zurückgegangen, weil die Regierungen mit ihrer Politik überzeugt haben.

Wann werden Sie Klarheit darüber haben, ob die Voraussetzungen für ein Verbotsverfahren vorliegen?

Wenn das Gutachten des Verfassungsschutzes ausgewertet wurde, muss mit den Verfassungsschutzämtern gesprochen werden. Das sind Schritte, die das BMI und die Landesinnenministerien sicherlich im Blick haben. Natürlich geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit, aber wir haben nicht ewig Zeit.

Sie haben das BMI angesprochen, das hier federführend zuständig ist. Welche Rolle soll Ihrem Ministerium zu­kommen?

Wir sind Teil der Bundesregierung und wie das BMI ein Verfassungsministerium. Deshalb werden wir diesen Prozess intensiv begleiten. Alle verfassungsschutzrechtlichen Fragen sind aber erst einmal Sache des BMI.

Weder in der SPD noch in der CDU gibt es eine Mehrheit für ein Verbotsverfahren. Ist ein Konsens innerhalb der Bundesregierung überhaupt denkbar?

Die Bundesregierung wird sich dazu beraten und zu einer gemeinsamen Antwort kommen. Aber ich möchte auch betonen: Im Bundestag und im Bundesrat muss die Diskussion ebenfalls stattfinden. Denn der Antrag auf ein Verbotsverfahren kann nicht nur von der Bundesregierung gestellt werden, sondern eben auch von Bundestag oder Bundesrat.

Kommen wir zur Asylpolitik. In der ersten Woche nach der Anordnung des Bundesinnenministers, Alexander Dobrindt, wurden 32 von 51 Asylsuchenden zurückgewiesen. In der Woche zuvor waren 44 Asylsuchende ins Land gekommen. Die Zahlen wurden also gesenkt, allerdings auf niedrigem Niveau. Viel Wind um nichts oder notwendige Abschreckungssymbolik?

Ich glaube, das gilt es in ein paar Monaten noch mal zu diskutieren. Wir haben im Koalitionsvertrag die Vereinbarung getroffen, weiter gegen irreguläre Migration vorzugehen. Das ist unser gemein­sames Ziel. Mir ist wichtig, dass wir dabei europarechts- und rechtsstaatskonform arbeiten. Der Innenminister ver­sichert mir, dass er das genauso sieht.

Halten Sie seine Weisung für europarechtskonform?

Der Innenminister selbst hat klargestellt, dass er Zurückweisungen nicht allein auf das nationale Recht stützen kann. Es müssen auch die Voraussetzungen von Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union vorliegen. Die Norm erlaubt es den Mitgliedstaaten, auf das nationale Recht zurückzugreifen – mit der Einschränkung, dass es sich um einen Ausnahmefall handelt, dass es um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und um die innere Sicherheit geht. Es ist unbestreitbar, dass die Migration der letzten Jahre enorme Auswirkungen hatte. Ich war in Mainz für Schulen und Kitas zuständig und weiß, wie angespannt die Lage in den Kommunen ist. Rheinland-Pfalz hat innerhalb von drei Jahren knapp 25.000 Schülerinnen und Schüler zusätzlich aufgenommen. Das sind erhebliche Herausforderungen. Aber als Justizministerin sage ich: Das allein wird nicht genügen, um eine Ausnahme zu begründen. Die Voraussetzungen für diese Ausnahmevorschrift sind hoch.

Äußern Sie Ihre Bedenken gegenüber dem BMI?

Alexander Dobrindt und ich sind in guten und sehr offenen Gesprächen. Auch der Bundeskanzler hat klar gemacht, dass wir rechtsstaatliche, insbesondere europarechtliche Vorgaben beachten werden und dass es keinen deutschen Alleingang geben wird. Das ist der richtige Maßstab. Die EU-Kommission hat zu recht klar gemacht, dass die Mitgliedstaaten nicht beliebig aus dem Europarecht aussteigen können. Aber auch die Kommission verschließt nicht die Augen vor der angespannten Situation in den Mitgliedstaaten. Insofern ist es gut, dass alle miteinander im Gespräch sind.

SPD und Union wollen die Vorratsdatenspeicherung einführen. Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Regeln nicht wieder von Gerichten gekippt werden?

Mit guter Gesetzesarbeit. Der EuGH hat im letzten Jahr klargestellt, dass eine IP-Datenspeicherung europarechtskonform ausgestaltet werden kann. Und nur davon sprechen wir. Die Ermittlungsbehörden sollen Auskunft darüber erhalten können, welchem Anschlussinhaber eine bestimmte IP-Adresse zugeordnet ist. Denn IP-Adressen sind oft der einzige Ermittlungsansatz bei internetbezogener Kriminalität. Es geht hier nicht um Massenspeicherung oder Echtzeitüberwachung.

Bei welchen Straftaten soll die Vorratsdatenspeicherung zum Einsatz kommen?

Jedenfalls bei erheblichen Straftaten, etwa bei Kinderpornographie und Terrorismus. Alles Weitere werden wir nun innerhalb der Bundesregierung besprechen.

Die Ampelkoalition verknüpfte das Thema der Strafverfolgung mit der Mietpreisbremse. Sie haben erklärt, auch dieses Instrument möglichst schnell angehen zu wollen. Was schwebt Ihnen vor?

Die Mietpreisbremse soll nun schnell verlängert werden, denn die aktuelle Regelung läuft zum Ende des Jahres aus. Danach könnten die Mieten wieder ungebremst steigen. Wichtig ist mir, dass künftig mehr Wohnungen den Regelungen der Mietpreisbremse unterliegen. Auch Gebäude, die zwischen 2014 und 2019 gebaut wurden, möchte ich einbeziehen. Das ist eine kleine, notwendige Anpassung. Andernfalls haben wir immer weniger Wohnungen, für die die Mietpreisbremse gilt.

An der Wirksamkeit der Mietpreisbremse gibt es Zweifel. Nicht nur die vielen Ausnahmen wurden kritisiert. Viele Vermieter, die der Regel unterliegen, halten sich nicht daran.

Das ist ein Problem, da haben Sie recht. Deswegen will ich auch den ganzen Mietmarkt in den Blick nehmen – mit all seinen Phänomenen. Dazu gehören Indexmieten und der möblierte Wohnraum. Es kann nicht sein, dass ich in eine Wohnung zwei Stühle reinstelle und meine, damit seien die Mieterschutzregeln ausgehebelt. Und natürlich brauchen wir mehr Wohnungen. Darum kümmert sich zuvorderst Verena Hubertz als Bundesbauministerin. Wir ziehen da gemeinsam an einem Strang.

Welche anderen Themen liegen Ihnen für Ihre Amtszeit besonders am Herzen?

Am allermeisten liegt mir die Stärkung unserer Demokratie am Herzen. Hier geht es um harte Überzeugungsarbeit: Die Demokratie ist die beste Staatsform. Das ist ein sehr abstraktes und gleichzeitig total konkretes Thema. Es geht zum Beispiel darum, dass wir die Justiz effi­zienter und moderner machen müssen. Die Zunahme von Gewalt – auch in den Familien – und der um sich greifende Extremismus stellen uns vor große Aufgaben. Außerdem möchte ich das Familienrecht auf die Höhe der Zeit bringen, etwa beim Sorge- und Umgangsrecht, aber auch im Abstammungsrecht. Ich glaube, da können wir einiges nachholen, was in der letzten Legislaturperiode nicht mehr geschafft wurde.

Sie meinen die umfassenden Reformen des Familienrechts, die Marco Buschmann geplant hatte?

Es gibt hier gute Vorarbeiten und ich werde mich dafür einsetzen, dass wir die gesellschaftliche Realität besser als bisher im Recht abbilden.

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