#„Wir verlieren auch die jungen Menschen“
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„„Wir verlieren auch die jungen Menschen““
Gestorben wird halb nackt im Vierbettzimmer. Ums Überleben gekämpft auch. Die Lieblingstrainingshose oder ein bequemes T-Shirt passen nicht über die Körper, aus denen etliche Schläuche ragen und die mit Kabeln übersäht sind. Wer auf einer Intensivstation liegt, der bekommt ein Hemdchen. Die Patienten haben andere Probleme, als sich über nackte Haut Gedanken zu machen. Sie kämpfen um jeden Atemzug.
Einige sind bei Bewusstsein, bekommen zusätzlichen Sauerstoff – etwa über einen Schlauch durch die Nase. Andere sind sediert, haben einen Beatmungsschlauch in der Luftröhre, wieder andere hängen an einer Herz-Lungen-Maschine. Wer hier liegt, hat schon lange keinen echten Hautkontakt mehr gespürt. Die Hände, die sie berühren, stecken in Latex-Handschuhen. Oft zwei Paar übereinander. Angefasst werden die Patienten viel. Fremde Hände am ganzen Körper. Die Patienten müssen mehrmals täglich umgelagert, die vielen Schläuche und Geräte, an denen sie angeschlossen sind, permanent kontrolliert werden.
Sie alle haben ihre Angehörigen nicht mehr gesehen, seit sie in die Klinik eingeliefert wurden. Dürfen nahestehende Personen doch kommen, ist das in den meisten Fällen ein schlechtes Zeichen. Denn wenn Besuch erlaubt wird, sehen die Ärzte kaum mehr eine Chance auf ein Weiterleben. „Wir ermöglichen ein Abschiednehmen“, sagt Andrea Steinbicker, stellvertretende Direktorin der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie am Frankfurter Uniklinikum. Bei einem älteren Mann, Mitte siebzig, steht kein Familienmitglied am Bett, als sein Herz aufhört zu schlagen. „Seine Angehörigen wollten nicht kommen, aber wir sind bei ihm“, sagt Steinbicker.
Auch die jungen Menschen verlieren den Kampf
Eine Intensivpflegerin und der diensthabende Oberarzt sind es, die seine Hand halten. Bleiche Finger liegen in weißbehandschuhten Händen. Dass der Kampf um das Leben bald verloren sein würde, haben die Pflegekräfte zuvor am Monitor ablesen können. Multiorganversagen. Ärzte und Pfleger können nichts mehr tun, außer für ein bisschen Intimsphäre zu sorgen. Sie haben Trennwände aufgebaut, um dem Sterben Raum zu geben. Aber auch, um den anderen Patienten im Zimmer den Anblick zu ersparen.
Rundgang: Auf der Covid-Normalstation, auf der Menschen mit einer Corona-Infektion untergebracht werden, sind Peter Fleckenstein (links) und sein Team im Dauereinsatz.
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Bild: Lucas Bäuml
Zwei der Bettnachbarn bekommen nicht mit, dass wieder einer im Zimmer den Kampf gegen das Virus verloren hat. Sie sind nicht bei Bewusstsein. Ihre Haut ist wächsern. Der Überlebenskampf lässt ihre Körper ausgezehrt wirken. Sie sehen älter aus, als sie sind: eher Mitte sechzig statt Mitte vierzig. Ein junger Mann, Ende zwanzig, Vollbart, ungeimpft, ist wach. Was um ihn herum geschieht, scheint er trotzdem nicht erfassen zu können. Zu sehr ist er damit beschäftigt, um jeden seiner Atemzüge zu ringen. „In diesem Raum passiert alles“, sagt die Intensivmedizinerin. Tod und Leben liegen hier nah beieinander. „Wir haben gerade keinen massiven Bettendruck“, sagt Steinbicker. Was zunächst wie eine gute Nachricht klingt, relativiert der nächste Satz. „Das liegt daran, dass wir viele Tote haben. Mittlerweile verlieren wir auch die jungen Menschen. Das ist auch für das Team schwer.“
Steinbicker beobachtet schweigend ihre Kollegen, die dem älteren Patienten, der ihnen allen so fremd geblieben ist, beim Sterben so nah sind. Er wurde schon bewusstlos in die Klinik eingeliefert. Ein kurzer Moment der Stille, dann muss es weitergehen. Zeit hat hier niemand. Hinter jeder Tür liegen Menschen, die noch vor wenigen Wochen mitten im Leben standen. Hinter jeder Tür verbergen sich Schicksale.
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