#Zwanzig Euro Verlust mit jedem Schwein
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„Zwanzig Euro Verlust mit jedem Schwein“
Im Landkreis Emsland schnellt die Zahl der Corona-Infektionen nach oben und nähert sich der kritischen Schwelle von 50 Infektionen je 100.000 Einwohnern und Woche. Der Anstieg geht zu einem gewichtigen Teil auf einen abermaligen Ausbruch in einem Schweineschlachthof der Tönnies-Gruppe zurück: Bei „Weidemark Fleischwaren“ im emsländischen Sögel haben die Behörden bisher 81 Infektionen nachgewiesen, vorwiegend bei Mitarbeitern von Subunternehmern. Zahlreiche Testergebnisse stehen noch aus.
Reinhard Bingener
Politischer Korrespondent für Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Bremen mit Sitz in Hannover.
Der Landkreis Emsland hat für die Samtgemeinde Sögel am Wochenende rigide Kontaktbeschränkungen erlassen: In den Schulen müssen Masken getragen werden; Mannschaftssport wurde untersagt. An privaten Treffen dürfen nicht mehr als sechs Personen teilnehmen, sofern sie nicht aus einer Familie oder maximal zwei Hausständen kommen.
In den Ställen wird es noch enger
Der Ausbruch in Sögel belastet auch die ohnehin krisengeschüttelte Fleischbranche zusätzlich. In dem Sögeler Schlachthof mit seinen rund 2000 Mitarbeitern darf zwar weiter gearbeitet werden, die Kapazität wurde jedoch drastisch reduziert auf rund 10.000 Tiere täglich. Für die Schweinemäster bedeutet das, dass es in den kommenden Tagen noch einmal schwieriger wird, ihre schlachtreifen Tiere zu verkaufen. In den Ställen wird es nochmals enger.
Schweinevermarkter Bernd Terhalle von der Erzeugergemeinschaft Hümmling nennt die Lage „dramatisch“. Die Kapazitäten der deutschen Schlachthöfe, die in Spitzenzeiten nahe 1,1 Millionen geschlachteter Schweine in der Woche lag, sei auf rund 850.000 Tiere gesunken. Die Ursache für den Rückgang sind nicht nur die Hygieneauflagen für die Schlachtbetriebe wegen Covid-19. Die Fleischindustrie befindet sich auch händeringend auf der Suche nach Mitarbeitern, denn das ab 1. Januar 2021 geltende Verbot von Werkverträgen in der Branche wirkt sich schon heute aus. Bernd Terhalle berichtet, dass viele Werkvertragsmitarbeiter aus Osteuropa gar keine Festanstellung anstrebten, weil sie ihren Lebensmittelpunkt nicht dauerhaft ins teure Deutschland verlegen wollen. Diese Leute wechselten nun vermehrt in andere Wirtschaftszweige wie die Logistik oder in andere Länder der EU.
Die Schweinehalter kämpfen aber auch mit einem Schwund der Nachfrage. Im Herbst werden üblicherweise besonders viele Schweine geschlachtet, weil die Menschen in dieser Zeit Volksfeste besuchen und auch wieder deftiger essen. Aufgrund der Pandemie gibt es aber kaum Feste und die Gastronomie als weiterer wichtiger Abnehmer schwächelt ebenfalls. Und auch in der Kühltheke leidet das Produkt aus Schweinefleisch unter dem schlechten Image der Branche. Zusätzlich verschärft wird die Lage durch die Afrikanische Schweinepest, die bei immer mehr Wildschweinen im Osten Deutschlands festgestellt wird. Wegen der Seuche hat das wichtige Abnehmerland China vor drei Wochen einen Importstopp für Schweinefleisch aus ganz Deutschland verhängt.
Zusammengenommen führt dies zu stark sinkenden Schweinepreisen. Zu Beginn des Jahres lag der Preis je Kilo Schlachtgewicht bei sehr guten 2,05 Euro. Die Gewinnschwelle liegt bei rund 1,60 Euro. Derzeit liegt der Preis bei 1,27 Euro. „Die Halter machen derzeit mit jedem Schwein zwanzig Euro Verlust“, berichtet Bernd Terhalle. „Und die Preise werden sich nicht so schnell erholen.“
„Es geht ein Beben durch die Branche“
Kenner der Branche berichten, dass die Stimmung in den Betrieben am Boden liegt. „Es geht ein Beben durch die Branche.“ Auf Grundlage vieler Gespräche mit Schweinehaltern sieht Terhalle den gesamten Wirtschaftszweig vor einem „Strukturbruch“. Rund ein Drittel der Betriebe könnten demnächst aus dem Markt ausscheiden, schätzt der Schweinevermarkter.
An wirksame Hilfsmaßnahmen der Politik glaubt kaum jemand, nachdem in den vergangenen Monaten und Jahren gravierende Missstände beim Schutz der Arbeitnehmer und hinsichtlich des Tierwohls bekannt wurden. Die Schweinehalter in Niedersachsen dringen derzeit darauf, dass die Politik zumindest die Schlachtkapazitäten etwas erhöht und die Betriebe auch an Sonntagen und Feiertagen wie dem Reformationstag arbeiten lässt. In Niedersachsen wurden deshalb zwischen den Ministerien Gespräche geführt.
Das Landwirtschaftsministerium äußerte, man beobachte die „schwierige Situation in den Ställen der Schweine haltenden Betriebe mit Sorge.“ Die Kapazitäten der Schlachthöfe seien jedoch bereits weitgehend ausgeschöpft und ließen sich kaum steigern, teilte das CDU-geführte Ministerium in Hannover mit. Die Grünen wandten sich bereits vorsorglich gegen eine Öffnung der Schlachthöfe an Sonntagen. Die Krise in der Branche sei ein Anlass, den Tierbestand in Deutschland dauerhaft zu reduzieren.
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