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#Ach nee, es ist alles eine Frage der Perspektive?

Ach nee, es ist alles eine Frage der Perspektive?

Viele Krimis erinnern den Zuschauer daran, dass alles eine Frage der Perspektive ist. Wer für sämtliche Figuren Empathie aufbringt, so ein implizites Versprechen, könnte den Fall sogar vor dem Ermittler lösen. Eine solche Einfühlung ist jedoch heikel, da man selbst potentiellen Bestien Mitleid schenkt. Zudem kann sich ein und dieselbe Figur in kurzer Zeit vom Sympathieträger in ein Scheusal verwandeln – je nachdem, welche Facetten des Charakters man bei der Betrachtung heranzoomt.

Kai Spanke

Um Blicke, deren Richtung und Ordnung geht es auch im Dortmunder „Tatort: Heile Welt“. In der Eingangssequenz sehen wir die von Rauchwolken umwaberte Silhouette einer Frau. Sie steht in der Bildmitte, hinter ihr tobt ein Mob in Zeitlupe. Rotes Licht, gedämpfte Geräusche. Während ein Mann auf dem Boden liegt, macht sich ein anderer daran, die Schlacht zu filmen. Hier die züngelnde Flamme eines bengalischen Feuers, dort vermummte Gestalten, die sich aus dem Staub machen. Schnitt. Die Frau steht mit dem Rücken zum Zuschauer, dreht sich langsam um, starrt mit schreckgeweiteten Augen und offenem Mund direkt in die Kamera. Hier bin ich, sagt ihr Blick, ich sehe dich, du siehst mich. In dem Moment ist klar, dass es fortan darum gehen muss, wie diese Frau wahrgenommen wird. Nicht nur von den anderen Figuren, sondern auch vom Fernsehpublikum.

Vielsagende Blicke

Dass sie keine Unbekannte ist, verleiht der Szene ihre Wirkung: Wie ist Kommissarin Martina Bönisch (Anna Schudt) in diesem Hexenkessel gelandet? Schritt für Schritt zeichnet Regisseur Sebastian Ko nach, was vor der Eskalation passierte. Ausgangspunkt ist der Brand in einer Hochhaussiedlung. Als Bönisch und ihr wie gehabt lebensentrückter Kollege Peter Faber (Jörg Hartmann) am Ort des Geschehens eintreffen, spricht ein gestriegelter Demagoge (Franz Pätzold) gerade jenen Satz in eine Kamera, der Volksaufwieglern besonders leicht von den Lippen geht: „Wir können dabei nicht länger tatenlos zusehen.“ So viel selbstbezügliches Chichi lässt man sich gerne gefallen: Für einen Krimi ist es schließlich immer gut, wenn nicht länger tatenlos zugesehen wird, weil die sich steigernde Handlungsdynamik den Genuss des Zuschauers erhöht, bei allem tatenlos zusehen zu müssen.

In dem flambierten Hochhaus liegt die Leiche einer jungen Frau. Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger), die neue Kommissarin im Dortmunder Team, verspielt durch ihr nassforsches Auftreten gleich jeden Welpenschutz und fällt anschließend dadurch auf, dass sie wie ein Fremdkörper an den Rändern der Handlung (Buch Jürgen Werner) erscheint. Auch Faber stolpert gewohnt deplaziert durch den Plot, wobei er seinem Einzelgängertum diesmal vielsagende Blicke in Richtung Martina Bönisch entgegensetzt. Die jedoch hat nur Augen für Kriminaltechniker Sebastian Haller (Tilman Strauss). Faber ist das nicht entgangen, weswegen er laufend wie ein Besiegter aus der Wäsche guckt und wirkt, als beobachte er nicht nur die amourös hoffnungslose Lage, sondern vor allem sich selbst beim Beobachten.

Fake News und Shitstorms

Diese Form gesteigerter Eigenwahrnehmung hätte Bönisch ebenfalls gutgetan, wenn sie den tatverdächtigen Iraker Hakim Khaled (Shadi Eck) mit aggressivem Körpereinsatz festnimmt. Die Phalanx emsiger Handyfilmer ist sofort zur Stelle und verbreitet die Videos im Internet. Bald jubelt die rechte Szene, während linke Aktivisten in Bönisch eine Nazi-Polizistin sehen. Als dann noch ein Clip auftaucht, in dem die Kommissarin mit dem fremdenfeindlichen Demagogen im Gespräch zu sehen ist, scheint sie der ideologischen Verblendung überführt zu sein. Doch was das Video zeigt, ist nur die halbe Wahrheit, denn die Macher fangen das Geschehen aus einem bestimmten Blickwinkel ein, um ein bestimmtes Bild zu erzeugen.

Insofern arbeiten sie wie Krimiregisseure, die das Publikum gerne auf falsche Fährten locken. In der dargestellten Welt des „Tatorts“ gerinnt dieser erzählerischen Kniff aber zu einem klischeehaften Erklärstück, das sich an Debatten um Fake News und Shitstorms abarbeitet. Der Mordfall bildet bei alldem nur die Folie, vor der die verhärteten Positionen wie in einem Lehrbuch aufgefächert werden. Dass alles eine Frage der Perspektive ist und dass Perspektiven verzerrt sein können, verdeutlicht der Film mühelos. Dass ein guter Krimi mehr sein muss als eine didaktische Übung, gerät dabei jedoch aus dem Blick.

Der Tatort: Heile Welt läuft an diesem Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten.

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