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#Berlin, die Anleitung zum Unglücklichsein?

Berlin, die Anleitung zum Unglücklichsein?

It’s official: In Sachen Glück belegen die Berliner*innen den letzten Platz. Für diese Feststellung brauchen wir gar nicht in die schlecht gelaunten Gesichter der Menschen zu schauen, die uns morgens in der U8 gegenübersitzen (das geht mit Maske ja auch gar nicht so gut), sondern nur einen Blick auf die Zahlen zu werfen. Der „Glücksatlas“ erfasst jedes Jahr die Lebenszufriedenheit der Menschen in Deutschland auf einer Skala von 10 (völlig zufrieden) bis 0 (total ünglücklich). Letzte Woche wurden die Ergebnisse für 2021 veröffentlicht. Demnach ist das Glücksniveau in Deutschland insgesamt seit Beginn der Pandemie gesunken und das Schlusslicht bildet, mit gerade mal 6,4 Punkten auf der Zufriedenheitsskala der Bundesländer: Berlin.

Berliner*innen sind bundesweit am unglücklichsten – und das nicht erst seit Corona

Die Menschen in Berlin sind also offiziell die Unglücklichsten des Landes, und das übrigens nicht erst seit Corona. Laut Glücksatlas gehörten die Berliner*innen schon vor der Pandemie zu den Unzufriedenen in Deutschland. In einer Stadt, in der man so viele Möglichkeiten hat und die sich ein nicht unerheblicher Anteil der Bevölkerung schließlich freiwillig zum Leben ausgesucht hat, kann man sich schon fragen, woran das liegt.

Ein Blick in das Factsheet, in dem die Ergebnisse der Studie zusammengetragen sind, liefert ein paar Anhaltspunkte. Wenig überraschend ist vielleicht, dass Berliner*innen mit ihrem Haushaltseinkommen unzufrieden sind. Ebenso mit ihrem Familienleben; angesichts der Tatsache, dass Berlin mit rund 53 Prozent den höchsten Anteil an Alleinlebenden aufweist, ist auch das keine allzu schockierende Erkenntnis. Weitet man den Blick und denkt etwa an den gekippten Mietendeckel, wird deutlich, dass es in Sachen Lebensumstände in Berlin viele „Basics“ gibt, mit denen man unzufrieden sein kann. Wer hier versucht, eine Familie zu ernähren oder überhaupt erstmal eine bezahlbare Wohnung mit genügend Platz zu finden, für den*die kann es wirklich anstrengend werden.

Die Unglücklichsten in der Pandemie: die jungen Menschen

All diese Gründe erklären aber nicht so richtig, warum ich das Gefühl habe, dass auch in meinem kleinen Dunstkreis, in meinem direkten Umfeld, die Menschen in letzter Zeit mehr als sonst mit der Stadt hadern. Menschen, die größtenteils jung und gesund sind, noch studieren oder gerade in ihrem ersten Job gelandet sind, die einer Arbeit nachgehen, mit der sie nicht selten hoffen, etwas Sinnvolles beizutragen und sich dabei selbst zu verwirklichen, was auch immer das im jeweiligen konkreten Fall bedeuten mag. Manche von ihnen sind hier geboren, doch die meisten haben sich, wie ich, Berlin bewusst ausgesucht, die Stadt ein Versprechen, dass sich ihnen hier Türen und Horizonte eröffnen. Reichlich absurd liest sich vor diesem Hintergrund im Glücksatlas übrigens, dass die Berliner*innen besonders mit ihrer Freizeitgestaltung unzufrieden sein sollen – hier werden nur 4,26 von 10 Punkten verzeichnet. Wait, what?

Liegt es daran, dass sie mit überhöhten Erwartungen hergekommen sind? Oder daran, dass man zwangsläufig, wenn man ein paar Jahre hier lebt, auf den meisten Tanzflächen schon mal gefeiert und die gleichen Sonnenaufgänge schon mehrfach gesehen hat, sich irgendwann so etwas wie Übersättigung einstellt? Eine Art Abgeklärtheit und Desillusionierung, weil man glaubt, die Abenteuer, die es hier zu erleben gibt, alle schon mitgenommen zu haben?

Die meisten haben sich, wie ich, Berlin bewusst ausgesucht. Die Stadt ein Versprechen, dass sich ihnen hier Türen und Horizonte eröffnen.

Nun ja, viel Abenteuer war im letzten Jahr ja nicht, und somit hat das alles natürlich doch, wie könnte es anders sein, etwas mit Corona zu tun. Zwar waren die Berliner*innen schon zuvor nicht die größten Glückskinder, während der Krise habe sich der Abstand zu den anderen Bundesländern aber noch einmal weiter vergrößert, heißt es in der Studie. Und dass das so ist, liegt in Berlin vor allem an einer Gruppe: den jungen Menschen. Die Ergebnisse im Glücksatlas zeigen nämlich: Während junge Menschen laut der Studie normalerweise „überdurchschnittlich glücklich“ sind, sank vor allem bei den unter 40-Jähren die Lebenszufriedenheit in den letzten Monaten dramatisch. Und von genau denen hat Berlin, surprise, deutschlandweit den höchsten Anteil: 48,8 Prozent.

Die Freiheit und Ausgelassenheit, die Abwechslung, die Berlin für junge Menschen so reizvoll macht, ist seit fast zwei Jahren ziemlich ausgebremst. Was bleibt, sind unsichere Wohn- und Arbeitsverhältnisse, Unverbindlichkeit, Kotze auf dem U-Bahn-Boden und ein sehr, sehr langer Winter.

Wenn in Berlin zu leben eine Langzeitbeziehung ist, dann kriselt es gerade bei vielen von uns

Ich schaue mich in meinem Freund*innenkreis um und merke: Wenn in Berlin zu leben eine Langzeitbeziehung ist, dann kriselt es gerade bei vielen von uns. Kennt ihr das Gefühl, wenn am Anfang einer neuen Beziehung einfach alles etwas mehr Freude macht, wenn die andere Person dabei ist? Die banalsten Dinge wie Wäsche aufhängen, aufräumen oder der Einkauf fürs Abendessen werden auf einmal zu einer schönen Unternehmung, wenn man sie im Beisein des*der anderen erledigt. Ungefähr so fühlte sich meine Anfangszeit in Berlin an: Einkaufen, Wäsche waschen, Termine beim Amt, alles, was ich hier tat, war auf einmal schöner, aufregender, besonderer, einfach, weil es in Berlin passierte. Egal, was ich hier gemacht habe, es hat sich ein bisschen besser angefühlt, es hier zu tun als woanders. Frisch verliebt eben.

Die Freiheit und Ausgelassenheit, die Abwechslung, die Berlin für junge Menschen so reizvoll macht, ist seit fast zwei Jahren ziemlich ausgebremst. Was bleibt, sind unsichere Wohn- und Arbeitsverhältnisse, Unverbindlichkeit, Kotze auf dem U-Bahn-Boden und ein sehr, sehr langer Winter.

Aber jede Verliebtheit geht irgendwann vorüber und verwandelt sich in etwas bodenständigere Gefühle: Ich lebe immer noch sehr gern hier, aber wenn ich nach einem langen Tag einfach kurz fürs Abendessen einkaufen und mich zu Hause auf der Couch verkriechen will, dann gehen mir die U-Bahn, der Supermarkt, die vielen Menschen, kurzum, Berlin, auf die Nerven. Das ist normal, in jeder Beziehung, und wenn die Beziehung weiter funktionieren soll, muss man eben auch mit den Seiten der anderen Person klarkommen, die einem nicht so gut gefallen, die einem zuvor vielleicht noch nicht einmal aufgefallen sind.

Die Pandemie hat mit mir das gemacht, was von Lily und Marshall in How I Met Your Mother als „Glas zerbrechen“ bezeichnet wird: Der Moment, wenn man auf einmal bemerkt, dass der*die Partner*in wahnsinnig laut redet, ein Wort immer falsch ausspricht, schmatzt oder sonst irgendeine seltsame Eigenschaft hat, die Außenstehende längst bemerkt haben, die einem selbst vor lauter Verliebtheit aber noch nie aufgefallen ist. Das können Kleinigkeiten sein, manchmal sind es aber auch Dinge, die die Beziehung nachhaltig zu beeinflussen drohen. Es klingt verrückt, aber: Mir ist im letzten Jahr wirklich erst so richtig bewusst geworden, wie laut, voll und dreckig Berlin ist. Wenn Menschen früher darüber geredet haben, dass sie „echt dringend mal wieder raus aus der Stadt müssen“, habe ich immer irgendwie verständnisvoll genickt und zugestimmt, aber gefühlt verstehe ich erst seit ein paar Monaten so richtig, was sie damit eigentlich meinen.

Anleitung zum Glücklichsein

Ich glaube, fast alle Menschen erleben einen solchen Moment des Glaszerbrechens in ihren Beziehungen, und sehr viele haben ihn auch in ihrer Beziehung mit Berlin irgendwann. Wenn man ihn nicht schon vorher hatte, weil man schon so lange hier lebt, dann war die Pandemie als Zeitpunkt natürlich prädestiniert dafür: Wenn alle Veranstaltungen abgesagt werden, die Bars und Clubs dicht sind und das Essen aus dem Lieblingsrestaurant nur noch auf der heimischen Couch gegessen werden kann, kann das eine Stadt schon mal entzaubern.

Vielleicht haben wir die rosarote Berlin-Brille mit dieser Pandemie also ein bisschen abgesetzt. Und jetzt? Was macht man in einer Beziehung an diesem Punkt? Man arbeitet daran, dass es sich trotzdem wieder richtig gut anfühlt. Beziehungsratgeber empfehlen einem da vor allem zwei Dinge: Kommunikation und Quality Time. Gut, mit einer Stadt zu reden hilft nicht so richtig weiter, auch wenn ich ihr sicher viel zu sagen hätte. Der Hinweis auf Quality Time ist da sehr viel leichter umzusetzen. Deshalb habe ich im Sommer versucht, möglichst bewusst Zeit an meinen Berliner Lieblingsorten zu verbringen: Da, wo mir die Musik am besten gefällt, die Sonnenuntergänge am schönsten sind, wo das Essen besonders gut schmeckt und die Menschen sind, in deren Anwesenheit es mir gut geht. Ich werde das auch im Winter weiterhin tun, soweit die Pandemie es zulässt. Denn auch bei all den Fehlern, Problemen und anstrengenden Charakterzügen, die diese Stadt hat, hat Berlin wirklich mehr verdient als 4,26 von 10 Zufriedenheitspunkten in Sachen Freizeitgestaltung.

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