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#Wer wir sind und sein könnten

Wer wir sind und sein könnten

Ein guter erster Satz für eine Serie, der das Publikum gleichzeitig zu Komplizen und zu Konkurrenten macht: „Ich will, dass es um mich geht.“ Das wollen viele Menschen. Täglich werden es mehr. Die Welt des Wohlstandswestens, seine Umstände, seine älteren (nicht die ganz alten!) und seine neuen Bücher, seine Maschinen – alle flüstern es uns auf ähnliche Weise ein: Steh auf. Mach dich groß. Vergiss dich nicht. Du kannst nie gewinnen. Aber alles haben.

Tom Schilling spielt einen Mann mittleren Alters mit Bindungsängsten. „17 Beziehungen, 108 Sexualpartner, 38 beste Freunde, 14 Freundeskreise, 9 Arbeitgeber, 20 Telefonnummern.“ Das Interessanteste an ihm sind sein Name, „Tristan“, seine Hemden und sein Fernsehwelt-Upperclass-Umfeld. Julia (Katharina Schüttler) ist von ihm schwanger. Mit Franziska (Mavie Hörbiger) verbindet ihn ein Geheimnis. Schwester Isolde (Sarah Viktoria Frick) – Wagner-Anspielungen dienen hier weitestgehend als Chiffre für Penisprotzerei und die Freude an hohlen Dominanzgesten mit Traditionsgehalt – ist Malerin und hält sich selbst kaum aus. Seine Eltern, die er Elvira (Sophie Rois) und Kurt (Martin Wuttke) nennt, sind die Karikatur eines Paares, das in seiner Selbstbezogenheit längst abgesoffen ist und die ganze Familie mit hinabgerissen hat. Doch eine der schönsten Rollen ist dem unvermeidlichen Lars Eidinger vorbehalten. Er spielt Tristans Chef, Herrn Brandt, der auf einem zweirädrigen Hoverboard wie auf einem mobilen Sockel durch seine Firma mit Namen „42!“ gleitet oder barfüßig durch sein mit Sand befülltes Büro schreitet.

Genitalfrontalallüren, Kastrations- und Penetrationsfantasien

Am Anfang jeder Folge, die einzelne Tage im Leben Tristans abhandeln, steht ein Wunsch, der die Beziehung seines Umfelds zu ihm prägen wird. Dafür muss er ihn allerdings gegenüber einem freundlichen Taxifahrer (Ramin Yazdani) äußern, der jeden Tag aufs Neue auf Tristan wartet, um ihn an das gewünschte Ziel zu bringen. In dieser Wunderlampensimulation werden Wünsche stets aus jener Überforderung geboren, die vorangegangene Wünsche ausgelöst haben. So wird aus „alle sollen alles über mich wissen“ „alle sollen die Wahrheit sagen“. Vorhersehbar sind die Wünsche nicht, auch wenn sie oft folgerichtig erscheinen, sobald sie sich manifestieren. Auch das macht den großen Reiz dieser Serie aus, die zwar anstrengend, für zarte Gemüter vor lauter Genitalfrontalallüren, Kastrations- und Penetrationsfantasien auch etwas verstörend, aber eben auf höchst unterhaltsame Weise unberechenbar ist.

Der Bildersturm per „Facial“ treibt Tristans Schwester zur Verzweiflungstat


Der Bildersturm per „Facial“ treibt Tristans Schwester zur Verzweiflungstat
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Bild: Superfilm/Pertramer/Sky

Hinzu kommt das von Theatererfahrung durchdrungene Ensemble. Nötig ist diese Erfahrung, weil es fähige Sprecher braucht, um die Wucht der Absurdität des stellenweise präzise aufs Maul schauenden Textes (Regie und Drehbuch David Schalko), der die gesamte Bandbreite menschlicher Gemeinheiten, Verletzungen und Missverständnisse in tödliche Geschosse verwandelt, abzufangen und zurückzufeuern. Die schönsten Sätze darf Eidinger als Herr Brandt sprechen, irgendwo zwischen totaler innerer und äußerer Leere: „Liebe ist was für Arbeitslose“ oder „Sie haben mich verzaubert, Sie Voodooist“. Solche Juwelen gehören vermutlich deshalb zum Schönsten, weil der Zuschauer über sie befreiter lachen kann als über die in vielerlei Hinsicht pornografisch überzogene Dysfunktionalität in Tristans Familie – selbst wenn junge Unternehmen in letzter Zeit zunehmend auf Familie machen und ihre Arbeitnehmer gehörig durcheinanderbringen.

Die unterschiedliche Gestalt der Wünsche und ihrer Konsequenzen nutzt das Team um David Schalko auch, um die filmische Form zu variieren: Kammerspiele, Endzeitszenarien, Musical-Elemente, die Chöre des antiken Theaters. Hier spielt die Serie, angesiedelt im Spannungsfeld zwischen dem eigenen und dem fremden Selbstbetrug, auch mit einer ihrer Prämissen. Jener, nach der die menschliche Liebesfähigkeit vom Wandel und von der Unversehrtheit des Geheimnisses des jeweiligen Partners abhängt.

Wer als Zuschauer über den unbedingten Erschütterungswillen dieser rasanten Versuchsanordnung hinwegsehen kann, blickt auf ein Ensemble verwundeter und untoter Figuren, denen die endgültige Erschöpfung anzumerken ist, die die Kapitalisierung der Liebe in dieser Dekade bei vielen Menschen auszulösen scheint. So muss sich Tristan fragen: „Warum kann ich die Welt nur lieben, wenn sie schläft?“ Eine Antwort liefert die stumme Tochter von Dr. Schubert (Michael Maertens), dem Therapeuten von Tristan. Sie hat aufgehört zu sprechen, weil sie glaubt, (ihre) Worte seien ein tödliches Virus, das sich verbreitet, sobald sie den Mund aufmacht. Demnach wäre die wirklich bedrohliche Pandemie schon in jenem Moment ausgebrochen, in dem Menschen menschliche Laute mit Bedeutung aufluden.

Wenn aber der Lauf dieser Geschichte nun auf uns und unsere zerstörerischen Selbstgespräche gerichtet ist, bleibt dem Zuschauer nur die gellende Warnung des Therapeuten: „Senken Sie das Gewehr, wenn jemand stirbt, ist es keine Kunst mehr!“

Ich und die Anderen beginnt heute um 20.15 Uhr auf Sky Atlantic.

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