Sozialen Medien

##allesdichtmachen erweist Kulturschaffenden Bärendienst

#allesdichtmachen erweist Kulturschaffenden Bärendienst

Solch einen Shitstorm erlebt man selbst in unseren schnell aufgeregten Zeiten selten. 53 Schauspielerinnen und Schauspieler setzen sich satirisch-ironisch in kurzen Clips mit den Lockdown-Maßnahmen der Regierung auseinander – und die Reaktionen schwanken zwischen Ablehnung und Entsetzen oder nennen sie schlicht demagogisch. Was ist da passiert?

Am Donnerstag tauchten in schneller Reihenfolge Videos im Netz auf, in denen 53 Schauspielerinnen und Schauspieler ihren Unmut über die Corona-Maßnahmen der Regierung äußern oder auch die Medien für ihre, aus ihrer Sicht, einseitige Berichterstattung kritisieren. Bei den Schauspielerinnen und Schauspielern handelt es sich keinesfalls um B-Promis oder solche Kulturschaffenden, die seit März 2020 aufgrund fehlender Engagements und Auftrittsmöglichkeiten in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind. Die Aktion, die sich #allesdichtmachen nennt, versammelt Namen vor der Kamera, die durchaus Staunen lassen. Jan Josef Liefers, Heike Makatsch, Ulrich Tukur, Wotan Wilke Möhring, Ken Duken, Kostja Ullmann, Richy Müller oder Ulrike Volkerts, um die (subjektiv) prominentesten Namen aufzuzählen. All diese Schauspielerinnen und Schauspieler in einer Serie: Das würde man wohl ein Serienevent nennen. Nun sind sie tatsächlich alle unter einem Dach vereint. #allesdichtmachen nennen sich die Aktion und der verwendete Hashtag, dazu kommen noch #nieweideraufmachen und #lockdownfürimmer.
Und das sieht dann so aus:

Sagt Liefers in dem Video tatsächlich, Medien würden dafür sorgen, dass der Alarm da bleibt, wo er hingehört? Nämlich ganz weit oben? Ja, das ist der Inhalt seiner Ansprache in den ersten 32 Sekunden dieses Videos. Die Medien spielen das Lied der Regierenden, sorgen dafür, dass nur ein Thema in den Medien präsent bleibt und hinterfragen diese Maßnahmen nicht.

Die Medien als verlängerter Arm der Bundes- und Landesregierungen?

Ein gleichgeschalteter Applaus-Apparat gleich einer Prawda aus Sowjetzeiten, der statt Journalismus zu betreiben Volkserziehung im Auftrag des Politbüros betreibt?

Man wartet nach dieser – durchaus mit einem ironischen Lächeln vorgetragenen Kritik – auf einen Bruch, auf eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Thematik. Die aber nicht stattfindet. Stattdessen folgen durchaus ironisch vorgetragene Anschuldigen. Etwa die, dass man Wissenschaftlern, deren Meinungen möglicherweise von denen abweichen, die „in den Medien“ im Fokus des Interesses stehen, keine Möglichkeit gibt, diese zu erklären oder zu erläutern. Und dann endet das Video auch schon. Was zurückbleibt ist eine gewisse Leere.

Schon die Frage, wer „die Medien“ sind, bleibt unbeantwortet. Sind es die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten? Sind es die großen Zeitungshäuser? Sollte dies der Fall sein, würden etwa Spiegel Online und Welt in einen Topf geworfen, dazu Bild.de und natürlich auch die taz. Sie alle sind ja „die Medien“ – und noch so viele, viele andere mehr. Also, wer wird hier genau kritisiert? Die Antwort auf diese Frage bleibt Liefers dem Publikum schuldig.

„Warum diese Satire demagogisch ist“ betitelt Martin Zeyn vom BR seinen Kommentar und schreibt, dass mit jedem der 53 Videos eine Opposition aufgebaut wird, deren Narrativ lautet: „Wir gegen die. Wir, das sind die kleinen Leute, die das Ganze ausbaden müssen. Die, das sind die Regierung und ihre Helfershelfer, die devoten Medien und die panischen Wissenschaftler.“ Dabei, fährt er fort, werden die Dispute zwischen Kanzlerin und Länderregierungen ebenso wenig thematisiert wie all die unterschiedlichen Meinungen von Experten etwa bezüglich der Thematik, wann Lockerungen etwa sinnvoll sind und wann überhaupt nicht. Alles Dispute, die in der Öffentlichkeit ausgetragen werden, in „den Medien“, online, im Fernsehen, in den klassischen Tageszeitungen, im Radio, in Podcasts. Ganz so, als würde all dies nicht stattfinden. Stattdessen bediene die Kampagne das Narrativ von Querdenkern und Rechtspopulisten, befindet nicht nur dieser Kommentar! Ein Kommentar des Redaktionsnetzwerkes Deutschland wirft den Mitwirkenden ein „Wutbürgerparlando“ vor, der Kölner Stadtanzeiger befindet: „Das ist keine Ironie, das ist reiner Hohn!“

Gibt es denn gar keinen Applaus? Doch, den gibt es. Wer sich durch Twitter klickt, findet durchaus Lob für die Aktion. Jedoch nicht zwingend aus den Reihen, aus denen die Mitwirkenden Applaus erwartet haben dürften. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Joana Cotar zum Beispiel mag Liefers Auftritt nicht nur – sie feiert ihn, wie man im Kurznachrichtendienst nachlesen kann.

Auch gibt es Kritik am Ton der Kritik. Anna Schneider vom Berliner Büro der Neuen Zürcher Zeitung moniert die teils herben Reaktionen an den Videos und schreibt: „Inzwischen reicht es, als Künstler die Coronapolitik der Regierung zu kritisieren, um als rechtsradikal zu gelten.“

Nun ist der Schaden da. Denn Applaus aus der AfD zu bekommen und eine Ohrschelle Bud Spencer’scher Wuchtigkeit von ungefähr allen anderen, dürfte gerade für die hier mitwirkenden Schauspielerinnen und Schauspieler, die sich dezidiert einem liberalen, weltoffenen, bildungsbürgerlich geprägten Milieu zuordnen würden, milde ausgedrückt, unschön. Dass man sich gerade auf Twitter gerne schnell und heftig erregt, das ist eine Sache. Twitter polarisiert und Gehör findet am Ende, wer am lautesten schreit und nicht unbedingt wohl pointiert schreibt. Heftiger sind da schon die Kommentare „der Medien“, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen.
Und die durchaus gerechtfertigt sind!

Wenn Ulrich Tukur in seinem Video etwa von einer „erhabenen Regierung“ im Gusto eines Shakespeare-Schauspielers spricht und auf diese Weise kaum mehr als Spott und Häme über diese ausschüttet, wartet man auf die Erklärung seiner Wortwahl. Die aber bloßer Spott bleibt, sich nicht selbst erklärend, anmaßend.

Und genau das ist das Problem. Es ist vollkommen legitim die Handlungen der politisch Verantwortlichen in diesem Land kritisch zu hinterfragen. Von politisch Handelnden, die, so etwa die persönliche Meinung des Autors dieser Zeilen, schon die zweite Corona-Welle unterschätzt haben – um nun in der dritten Welle planlos und ratlos zu wirken. So wie es auch legitim ist, die Arbeit deutscher Presseorgane in pandemischen Zeiten einer Analyse zu unterziehen: Wie hat sich Berichterstattung verändert? Macht aus euren Herzen keine Mördergruben, möchte man ausrufen, sagt doch einfach, was ihr denkt. Klar heraus.

Das aber geschieht nicht, wenn von „den Medien“ oder „der Politik“ gesprochen wird. Statt dessen erleben die Zuschauer Videos, in denen sich Schauspielerinnen und Schauspieler ironisch über neue Regelungen lustig machen, unreflektiert etwas über die Presse erzählen (Liefers) oder im Shakespeare-Ton über Maßnahmen schmunzelt (Tukur).

https://www.youtube.com/watch?v=Lkq5eaEpDaw

Nun ist Ironie an sich eine großartige Waffe der kritischen Meinungsäußerung. Ironie ist jene feine Klinge, die, die wirklich schmerzende Wunden bei denen, die man kritisiert, hinterlässt. Mit dem Hammer zuschlagen kann jeder. Aber Ironie – tut weh. Wenn aber die Ironie ins Überhebliche kippt, wenn sie pauschalisiert, wenn sie sich selbst nicht reflektierend (selbstironisch) hinterfragt und keinerlei Lösungsvorschläge bietet – verfehlt sie ihr Ziel: Das Ziel einer angemessenen, wohl formulierten Kritik. Stattdessen wirkt sie abgehoben von der Realität und nicht selten von der eigenen Erhabenheit besoffen.

Dabei sind es die Kulturschaffenden, die wie kaum eine andere Berufsgruppe wirtschaftlich unter den Restriktionen der Corona-Einschränkungen leidet. Gerade die Kultur bräuchte eine Stimme. Eine laute, klare Stimme, die sich für ihre Belange öffentlichkeitswirksam einsetzt. Sie braucht genauso eine Stimme wie all die Menschen, die jeden Tag in den Krankenhäusern in diesem Land rund um die Uhr Menschenleben retten, die sich selbst Gefahren aussetzen und deren Warnungen, dass ihnen die Intensivplätze ausgehen und dass sie selbst am Ende ihrer Kräfte angekommen sind, oft ungehört bleiben. Stattdessen hören diese Menschen hier ein ironisches Schwadronieren bekannter Schauspielerinnen und Schauspieler über Einschränkungen und Lockdowns in einer Sprache, die Querdenker entzücken mag, für diese Menschen aber wie eine Verhöhnung ihrer Arbeit klingen muss.

Was immer mit dem Projekt am Ende erreicht werden sollte, es ist schlicht und ergreifend fürchterlich in die Hose gegangen.

PS: Die Website allesdichtmachen.de, die dem Projekt offenbar als Plattform dienen sollte, ist nicht mehr (Stand Freitag, 23.04.2021, 14 Uhr) online. Im YouTube-Kanal wurden die Kommentarfunktionen unter den Videos deaktiviert, die Kanalinfo führt kein Impressum auf, laut Spiegel steckt hinter dem Projekt die Münchner Produktionsfirma Wunder am Werk, das sich bislang jedoch recht schmallippig bezüglich der Hintergründe gibt.

PPS: Mit Heike Makatsch hat sich eine Mitwirkende für ihr Video entschuldigt.

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