#„Angst kann keine langfristige Lösung sein“
„„Angst kann keine langfristige Lösung sein““
Herr Kalbitzer, der Fußball-Trainer Hansi Flick hat kürzlich über die „sogenannten“ Corona-Experten geschimpft und von der Politik gefordert, sich darum zu kümmern, „dass man auch mal was Positives verkünden“ kann. Finden Sie als Psychiater, dass in der Corona-Krise zu viel mit Horrorszenarien gearbeitet wird?
Absolut. Wenn man unter starker oder länger andauernder Angst leidet, kann das zwei Folgen haben: Man wird übersensibel, oder man stumpft ab. Das sind beides Folgen, die wir nicht gebrauchen können in so einer Krise – vor allem wenn sie so lange dauert. Am Anfang hat die Angst noch funktioniert. Der erste Lockdown hat schon Wirkung gezeigt, bevor er anfing. Aber im November dauerte es dann schon deutlich länger. Vielleicht haben die Mutationen jetzt wieder eine ähnliche Wirkung wie die Bilder aus Bergamo vor einem Jahr. Aber dass Menschen Angst haben, kann keine langfristige Lösung sein. Wir brauchen ein positives Narrativ, in dem man darauf schaut, was wir alles gemeinsam erreicht haben. Es ist eine Wahnsinnsleistung, dass wir einen Impfstoff haben. Bemerkenswert ist auch die Disziplin jedes Einzelnen, der durch harte Einschränkungen im Alltag Tote vermeidet. Das muss man deutlich machen.
Aber so bekommt man Leute doch nicht dazu, vorsichtig zu sein, oder?
Ich will mal ein Beispiel geben. Es funktioniert nicht, ein Jahr lang zu sagen: Hört auf Euch zu treffen! Wir brauchen soziale Kontakte, gerade Kinder. Ich bin kein Virologe, aber so wie ich es als Mediziner einschätze, ist es völlig vertretbar, sich im Freien zu umarmen, wenn man vorher einen Schnelltest gemacht hat und eine FFP2-Maske trägt. Die Bedeutung so einer Umarmung kann man gar nicht überschätzen. Ich wünsche mir, dass man den Leuten erklärt, wie sie bestimmte Sachen machen und dabei das Risiko klein halten können. Stattdessen wird in vielen Bereichen mit der Warnung vor Gefahr Verzicht gepredigt. Das funktioniert auf Dauer nicht. Und es erzeugt eine extrem negative Stimmung.
Jan Kalbitzer ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er leitet die Stressmedizin der Oberberg Kliniken.
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Bild: Andreas Pein
Christian Drosten hat im Januar davor gewarnt, dass wir im Sommer im schlimmsten Fall 100.000 neue Infektionen pro Tag haben könnten. Soll er das für sich behalten, wenn er das befürchtet – damit die Stimmung gut bleibt?
Nein. Er muss klar sagen, welche Risiken drohen. Aber es ist eine Frage der Sprache, mit der man arbeitet. Was Drosten sehr gut macht, ist das Abwägen: Es könnte so kommen, und es könnte so kommen. Auf dieser Grundlage treffen Politiker Entscheidungen. Drosten benennt auch immer wieder die Grenzen seiner Expertise und korrigiert sich, wenn es nötig ist. Deswegen ist er so ein brillanter Experte in dieser Krise.
Der SPD-Politiker Karl Lauterbach hat am 13. Februar vor der Gefahr gewarnt, dass in den nächsten Monaten eine Welle der in Südafrika aufgetretenen Corona-Mutation „über die bereits Geimpften und die noch nicht Geimpften“ laufen könnte. Das müsse man „mit allen Mitteln“ verhindern. Einen Tag später hat Lauterbach von einer Hasswelle mit Morddrohungen berichtet. Wieso reagieren die Menschen so emotional?
Diese Art der Aggressionen lässt sich nicht rechtfertigen. Aber grundsätzlich sehe ich es kritisch, wenn einige Experten nicht klar zwischen ihrer persönlichen Meinung und den Fakten unterscheiden, mit denen sie sich gut auskennen. Virologen etwa sind für einen kleinen Teil dieser Krise zuständig, nämlich für die Frage, wie man sich wo ansteckt. Wenn sie ihr Wissen aus Laboren nutzen, um ihre private Meinung durchzusetzen, ärgert das Menschen. Die Verantwortung von Experten liegt darin, zwischen ihrer Privatmeinung und ihrer Expertise zu unterscheiden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte im Herbst vor 20.000 neuen Corona-Fällen am Tag gewarnt, Karl Lauterbach vor täglich mehr als 200 Corona-Toten. Beide wurden als Angstmacher kritisiert – die Prognosen wurden aber sogar übertroffen.
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