Archäologen enthüllen mittelalterliche Graffiti im Abendmahlssaal

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Der Berg Zion in Jerusalem gilt als heilige Stätte für gleich mehrere Religionen. Der christlichen Überlieferung nach soll Jesus Christus dort sein letztes Abendmahl gefeiert haben, weswegen schon die ersten Kreuzfahrer eine Kirche samt Abendmahlssaal auf dem Berg errichteten. An den Wänden dieses Coenaculum haben Archäologen jetzt Graffiti aus dem Mittelalter und sogar Familienwappen adeliger Besucher sichtbar gemacht. Sie zeugen von der großen Bedeutung dieser Pilgerstätte schon vor Jahrhunderten.
Am Donnerstag vor Ostern erinnern Christen an das letzte Abendmahl Jesu Christi. Bei diesem Mahl am Vorabend des jüdischen Pessachfestes teilte Jesus Brot und Wein mit seinen Jüngern – Vorbild für die christliche Eucharistie – und sagte den Verrat durch Judas voraus. Historischer Überlieferung nach lag das „Obergemach“, in dem dieses letzte Abendmahl stattfand, im Obergeschoss einer römischen Villa auf dem Berg Zion, südwestlich der Altstadt von Jerusalem. Dieses Villenviertel wurde jedoch bei der Eroberung Jerusalems durch die Römer im Jahr 70 zerstört. Im vierten Jahrhundert errichteten byzantinische Christen dann auf dem Berg Zion eine erste Kirche, die Hagia Sion.
Im Jahr 1099 eroberte das Heer des ersten Kreuzzugs Jerusalem und auch für die Kreuzfahrer war der Zionsberg ein heiliger Ort. Im Gedenken an die nach biblischer Überlieferung dort verorteten Ereignisse errichteten sie dort eine größere Kirche, Sancta Maria in Monte Sion. Diese umfasst einen Saal, der an den Abendmahlssaal erinnern sollte. Dieses Coenaculum zieht bis heute christliche Pilger aus aller Welt an.
Pilger-Graffiti und Adelswappen
An den Wänden des Abendmahlssaals haben Archäologen um Shai Halevi von der israelischen Behörde für Altertümer mittelalterliche Inschriften entdeckt und mithilfe von digitaler Bildgebung wieder sichtbar gemacht. Diese eingeritzten oder gezeichneten Graffiti stammen größtenteils aus dem Spätmittelalter, als der Abendmahlssaal Teil eines Franziskanerklosters war. „Diese Graffiti werfen ein neues Licht auf die geografische Vielfalt und die internationale Pilgerbewegung nach Jerusalem im Mittelalter“, erklärt Co-Autor Ilya Berkovich von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Viele dieser mittelalterlichen Graffiti wurden von christlichen Pilgern hinterlassen – unter ihnen auch einige hochrangige Besucher aus Mitteleuropa. So zeigt eine Zeichnung das Familienwappen des Tristram von Teuffenbach aus der Region Murau in der Steiermark, wie die Archäologen berichten. Der österreichische Adelige von Teuffenbach hatte im Jahr 1436 den Erzherzog und späteren Kaiser des heiligen römischen Reichs, Friedrich von Habsburg, nach Jerusalem begleitet. Der Pilgertross umfasste damals mehr als 100 Adelige aus dem Habsburgerreich. Auch das Stadtwappen der süddeutschen Stadt Altbach sowie das Wappen der Berner Patrizierfamilie von Rümlingen entdeckte das Forschungsteam an der Wand des Coenaculum.

Inschrift belegt Präsenz der Armenier im Jahr 1300
Als eine der historisch bedeutsamsten Graffiti-Entdeckungen sehen die Archäologen jedoch eine armenische Inschrift aus dem Mittelalter. Die Inschrift lautet schlicht “Weihnachten 1300“ , wie Halevi und seine Kollegen berichten. Doch genau dies könnte eine seit Jahrhunderten strittige Frage zum Feldzug der Armenier und der mit ihnen verbündeten Mongolen gegen die Mamlukken im Jahr 1299 beantworten. Damals besiegte das Heer um den armenischen König Het‘um II. in der Schlacht von Wadi al-Khazandar die Mamlukken unter dem ägyptischen Sultan Salah ad-Din Chalil. Diese hatten zuvor weite Teile des Nahen Ostens sowie Armenien erobert und besetzt. Strittig blieb jedoch bis heute, ob die Armenier nach diesem Sieg auch Jerusalem erreichten. Die nun im Abendmahlssaal entdeckte Inschrift spricht dafür. Ihr Datum sowie ihre Position hoch oben an der Wand – typisch für die Epigraphik des armenischen Adels, sind nach Angaben der Archäologen ein Hinweis darauf.
Neben den Graffiti von Menschen aus Armenien, Syrien und dem deutschsprachigen Raum haben auch Pilger aus Serbien, Tschechien und zahlreiche arabischsprachige Christen ihre Spuren an den Wänden des Abendmahlssaals hinterlassen. Ein besonderer Fund ist beispielsweise ein arabisches Inschriftenfragment an der Coenaculumswand. Zu lesen ist davon noch „…ya al-Ḥalabīya“. Aus der weiblichen Endung „ya“ schließen die Archäologen, dass es sich um das Graffito einer christlichen Pilgerin aus der syrischen Stadt Aleppo handelt – eine seltene Spur weiblicher Präsenz in der vormodernen Pilgerwelt. Zusammen liefern diese Pilger-Graffiti einzigartige Einblicke in die Herkunft der damaligen Besucher dieses christlichen Heiligtums.
Quelle: Österreichische Akademie der Wissenschaften; Fachartikel: Liber Annuus 74 (2024), S. 331–74
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