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#Arm, aber so was von cool

Arm, aber so was von cool

Der Protest kocht an vielen Stellen hoch. Unter dem Hashtag #IchbinHanna beschweren sich Wissenschaftler auf Twitter über befristete Arbeitsverträge, dauernde Unsicherheit und berufliche Sackgassen. In einem offenen Brief an die ARD beklagen sich etwa 250 Hörspielautoren über ihre prekäre Lage. Und Praktikanten beim ZDF schreiben, die 350 Euro, die sie pro Monat bekommen, würden zur sozialen Spaltung beitragen: Denn ein solches Praktikum kann man natürlich nur dann ableisten, wenn man es sich leisten kann.

Alfons Kaiser

Verantwortlicher Redakteur für das Ressort „Deutschland und die Welt“ und das Frankfurter Allgemeine Magazin.

Wer wissenschaftlich oder kreativ arbeiten will, ist oft arm dran. Denn die Berufsziele Autor, Wissenschaftler, Künstler, Architekt oder Designer sind weiter begehrt. Das Nachwuchsangebot übertrifft die Nachfrage bei Weitem. Viele Studenten wollen „irgendwas mit Medien“ oder auch „irgendwas mit Mode“ machen. Aber es gilt das brutale Gesetz: „Je kreativer man ist, desto weniger verdient man.“ So sagt es eine der Protagonistinnen in Giulia Mensitieris Buch über „Das schönste Gewerbe der Welt“ – das, man ahnt es, ganz schön hässlich aussehen kann.

Das Gesetz des Unerreichbaren

Das allgemeine Publikum mag überrascht sein, dass es auch in der Modeszene von schlecht bezahlten Kreativen nur so wimmelt. Die im Schatten sieht man eben nicht: Wenn sich vorne auf dem Laufsteg Gigi Hadid feiern lässt, steht hinter der Bühne eine unterbezahlte Praktikantin, die ihr beim Anziehen hilft. Wenn in der ersten Reihe bei Dior der Multimilliardär Bernard Arnault Hof hält, sitzt nur zwei Reihen dahinter die Stylistin eines kleinen Modemagazins, die seit einem Jahrzehnt zur Untermiete in einem möblierten Zwanzig-Quadratmeter-Zimmer lebt.

Giulia Mensitieri: „Das schönste Gewerbe der Welt“. Hinter den Kulissen der Modeindustrie.


Giulia Mensitieri: „Das schönste Gewerbe der Welt“. Hinter den Kulissen der Modeindustrie.
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Bild: Matthes & Seitz Verlag

Die Mode ist eine angewandte Kunst, aber brotlos ist sie auch, trotz der gigantischen Gewinne, die zumindest die großen Konzerne damit erwirtschaften. Die Aussicht auf eine Karriere als Model, Designer, Stylist oder Fotograf ist klein. Aber die geringen Chancen scheinen den Ehrgeiz erst anzustacheln. Dieses Gesetz des Unerreichbaren zu durchbrechen – das ist das Ziel der Ethnologin Mensitieri. Ihre engagierte Studie, mit der sie an der École des hautes études en sciences sociales in Paris im Fach Kulturanthropologie promoviert wurde, will die „Prekarität hinter der glitzernden Fassade des Kapitalismus“ aufdecken. Das klingt verdächtig kitschig – und plakativ wird es in der Tat.

Sonst würde den Job ja niemand machen

Je höher die Ziele, desto größer die Leidensfähigkeit. Das verdeutlicht Mensitieri am Beispiel von Stylistinnen, die üppige Bilderstrecken für Modemagazine inszenieren, aber die acht Mitwirkenden der Fotoaufnahmen für gerade einmal zwanzig Euro mit Essen versorgen können. Oder am Beispiel von Designassistenten, die für renommierte Modehäuser arbeiten, nur 2000 Euro brutto verdienen, sich dafür aber Wochen vor den Modenschauen alle Abende und die Wochenenden für die Arbeit frei halten müssen.

In diese Bilanz ist allerdings nicht das symbolische Kapital der „Coolness“ einberechnet, das die Kreativen anhäufen. Der „Glamour“, der aus einem solchen Job erwächst, ist schließlich auch eine Belohnung. Tautologisch formuliert: Sonst würde den Job ja niemand machen. Mehr noch: Mensitieri schreibt selbst, dass man nach einer solchen Assistenten-Durststrecke auf bestens dotierte Stellen bei weniger renommierten Modemarken hoffen kann. Auch gesteht sie ein, dass niemand gezwungen ist, eine so entwürdigende Arbeit zu verrichten – anders zum Beispiel als in Indien oder Bangladesch, wo die Armut zur mühseligen Arbeit in Textilfabriken zwingt.

Mit den Mitteln teilnehmender Beobachtung

Bei der Kapitalismuskritik à la Mensitieri beißt sich die Katze in den Schwanz: Die Autorin kritisiert „den neoliberalen Kult der persönlichen Freiheit“, der Machtverhältnisse banalisiere und Ungleichheiten verberge. Aber sind es nicht gerade diese Ungleichheiten, die zur Produktivität anstacheln? Und ist es nicht gerade diese Freiheit, die alle motiviert? Und was soll eigentlich der bittere Unterton im Wort „Freiheitskult“? Sind wir schon so weit von Zeiten der Unfreiheit entfernt, dass wir die Segnungen der Freiheit gar nicht mehr erkennen können?

Auch über „die ständige Mobilisierung der eigenen Subjektivität im Produktionsprozess“ könnte man diskutieren. Natürlich ist die durchlässige Beziehung von Leben und Arbeit ein Stressfaktor, erst recht, wenn die verbrämten Hierarchien der Modeszene den emotionalen Eifer des Nachwuchses ausnutzen – Mensitieri beschreibt es mit den Mitteln teilnehmender Beobachtung anhand vieler Fälle sehr anschaulich. Aber es lohnt sich, dagegen vorzugehen. So haben die vielen Beschwerden über den Umgang mit Models dazu geführt, dass sich die beiden größten Luxuskonzerne, LVMH und Kering, 2017 auf eine Charta verpflichteten, nach der Models nicht untergewichtig und nicht jünger als sechzehn Jahre alt sein dürfen.

Die kreativen Berufsbilder rechtzeitig zu durchschauen, dabei hilft Mensitieri immerhin besser als jeder Berufsberater am Arbeitsamt. Dieses Buch müsste Pflichtlektüre an Modeschulen sein. Was schon deshalb nicht geschehen wird, und jetzt werden wir doch mal kapitalismuskritisch, weil auch diese Ausbildungsstätten mit teils horrenden Studiengebühren von den Hoffnungen leben, die diese Branche nähren.

Giulia Mensitieri: „Das schönste Gewerbe der Welt“. Hinter den Kulissen der Modeindustrie. Aus dem Französischen von Lena Müller. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2021, 335 S., geb., 28,– €.

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