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#Auf die unfeine britische Art

Auf die unfeine britische Art

Was Loriot den Deutschen, bedeutet das Künstlerduo Gilbert & George den Briten – gepflegte Anarchie und Anzüglichkeit im trügerischen Gewande feinen Tweeds. Wie der Andrang in der Frankfurter Schirn erweist, sind die beiden Verkörperungen von Britishness (obgleich Gilbert Prousch in den Südtiroler Dolomiten geboren wurde) nicht nur in ihrer Heimat beliebt. Die Kunsthalle zeigt nun mit einer Retrospektive von 45 wesentlichen Bildern aus fünfzig Jahren, von 1971 bis (fast) heute, die bislang größte deutsche Ausstellung des Duos.

Stefan Trinks

Ein erster loriotscher – und angesichts der vielen auf den Bildern ins Auge stechenden Körperflüssigkeiten und -Öffnungen offensichtlicher – performativer Widerspruch ist die permanente Unterminierung des sogenannten „guten Geschmacks“ durch die ewigen Tweedträger. Seit 1967 kleiden sich die beiden wie Platos Ur-Entität Unzertrennlichen in eine Arbeitsuniform, einen tailliert geschneiderten „Responsibility Suit“. Denn verantwortlich fühlen sich die beiden für das Aufdecken sozialer, ethnischer und sexueller Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen durch Staat, Meinungsdiktaturen und die Kirche.

Immer von Allen verstanden werden

Von solchen Schieflagen gibt es um ihr Wohnatelier herum im Londoner Stadtteil Spitalfields, in dem sie ebenfalls schon seit dreiundfünfzig Jahren leben und arbeiten, mehr als genug. Politkunst klingt grausig und wenig nach Kunst, wenn die Anliegen allerdings derart stilvoll vorgetragen werden, gibt das Auge den willigen Boten mit direktem Zugang zur Amygdala im Gehirn. Denn selbst wenn es sich bei der Serie der „Shit Pictures“ um großformatige Panoramen von Ausscheidungen handelt, wird das unappetitliche Thema so merkwürdig ästhetisiert (beispielsweise in „Shit Faith“ mit vier Kotstangen in Form eines Kreuzes), das kaum jemand angewidert den Saal verlassen würde. Anfangs nur in edlen Schwarzweißphotographien, dann allmählich um die „politische“ Farbe Rot und das Gelb der Ausgestoßenen bereichert, schließlich seit den Neunzigern zunehmend farbiger werdend, haben Gilbert & George ihre bitteren Pillen stets in hochglänzendes Fotopapier zu wickeln gewusst.

Selbst bei scheinbar harmlosen Pflanzen stellt sich die Frage nach Einwanderern und Ansässigen und wer darüber wacht, weclhe bleiben dürfen und welche nicht: Gilbert & Georges „Guard Plant“ von 1980.


Selbst bei scheinbar harmlosen Pflanzen stellt sich die Frage nach Einwanderern und Ansässigen und wer darüber wacht, weclhe bleiben dürfen und welche nicht: Gilbert & Georges „Guard Plant“ von 1980.
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Bild: Schirn Frankfurt

Der bis heute größte performative Widerspruch ihres Werks aber, der in der starken formalen Ähnlichkeit ihrer scheinbar von innen leuchtenden Glaswände zu den diaphanen Kirchenfenstern des Mittelalters mit ebenfalls metallenem Stütz–Raster liegt, wird in der kathedralenartig langgezogenen Halle der Schirn noch deutlicher als gewöhnlich: Mit den nun beinahe vollständig von monumentalen Hinterglas-Photos bedeckten Wänden wirkt es, als schreite man durch die Westminster Abbey in London, mit dem einen Unterschied, dass am Ende der Raumflucht nicht die Queen oder der Dean der Kirche wartet, sondern wiederum die beiden Künstler im Format fünf mal knapp drei Meter, die bis heute auf beinahe jedem Bild (mindestens mit ihrer übergroßen Signatur in einem je eigenen Namenssockel) präsent sind. Warum aber auch nicht mit einer sakral aufgeladenen Form das für beide Künstler unerträgliche Kirchensystem kritisieren, gleichsam von innen heraus?

Skulpturen aus Fleisch und Blut

Denn die Kirche gehört zusammen mit – ihrer Meinung nach – anderen repressiven Systemen seit jeher zu den Hauptangeklagten der beiden Eigenständigkeitskämpfer. Die Starre und Härte, mit der die Amtskirche über lange Zeit Homosexuellen wie Gilbert & George begegnete und sie stigmatisierte, wenden die Künstler mit gleicher Aggression gegen sie. Das ein kirchliches Triptychon schon im Format aufnehmende und übertrumpfende „Scapegoating“ von 2013 ist mit Dutzenden wütender Graffitis wie „Ream a Reverend“ oder „Masturbate a Monk“ bedeckt.

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