#Auf Stare starren

Herr O. ist ein Chef von äußerster Professionalität. In seiner Freizeit trägt er neonblaue Daunenjacken und grüne Joggingschuhe, aber während der Arbeit müssen es immer die edelsten Anzüge sein, gern auch auf Maß. Einmal hatte Herr O. ein Video-Meeting mit anderen Führungskräften. Er echauffierte sich furchtbar. Da lag tatsächlich einer der Chefs auf seinem Bett, Kuscheltiere im Hintergrund, die Stimme seiner Frau vor der Tür. Herr O.s Körper wurde starr vor Verachtung.

Herr O. hat ein distinguiertes Mittel gefunden, um sich noch während der Meetings von den Strapazen der Online-Welt zu erholen: Vögel. Wenn die Stoppuhr im Teams-Fenster die Eine-Stunde-Marke überschreitet, holt Herr O. ein Fernglas aus seiner Schublade und beobachtet den Garten. Amseln, Stare, Spatzen, Rotkehlchen, Spechte. Seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, sagt Herr O., fänden das toll, sie würden Screenshots von ihm und seinem Fernglas machen.

Was Herr O. durch sein Fernglas sieht, sind Lebewesen, die den Menschen nun mehr nicht nur ihre Flügel voraus haben, sondern auch ihre Reisefreiheit. Krähen können genauso in das lüftende Arbeitszimmer ein- und wieder ausfliegen (alles schon passiert), wie sie ohne negatives Testergebnis von München nach Mailand reisen können.

Dabei ist es ein Irrglaube, dass die Elstern und Amseln in der Pandemie lauter geworden sind, um den Menschen ihre neu gewonnene Überlegenheit auf penetrante Art und Weise zu demonstrieren. Den Menschen fielen der Hausrotschwanz und der Reiher nur eher auf. Im Homeoffice oder auf dem Balkon desselben. Weil der Rest ihrer Welt kleiner und leiser geworden war. Sie redeten über sie wie normalerweise über Kollegen oder Kolleginnen mit schönen Frisuren, aber einem peinlich verfleckten Hemd. „Der Stieglitz“, sagte Frau L. letztens, „der ist mir jetzt erst aufgefallen.“