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#Autos aus dem Verkehr ziehen

„Autos aus dem Verkehr ziehen“

Die Provokation von Katja Diehls Buch besteht darin, sich eine Welt vorzustellen, in der das Auto eine seiner Funktionalität angemessene Rolle spielt. Sie besteht darin, sich Eltern vorzustellen, die ihre Kinder ohne Sorge allein mit dem Fahrrad zu einer Nachmittagsaktivität schicken können, oder Menschen, die sich auch mit Beeinträchtigungen oder im ländlichen Raum individuell und sicher ohne fossiles Fahrzeug fortbewegen können. Kurz: Diehls Ausführungen sind ein Schlag ins Gesicht der Bewahrer des verkehrspolitischen Status quo.

Philipp Krohn

Redakteur in der Wirtschaft, zuständig für „Menschen und Wirtschaft“.

Die Autorin, nach eineinhalb Jahrzehnten in der Mobilitäts- und Logistikbranche inzwischen Politikberaterin und Gastgeberin des Podcasts „SheDrivesMobility“, glaubt nicht, dass neue Techniken die Herausforderungen in der Mobilität lindern. „Diese werden nicht in der Lage sein, Lösungen zu schaffen, wenn das Verhalten dasselbe bleibt“, schreibt sie. Mobilitätsprodukte müssten als System, Stadtraum als Wert an sich gedacht werden. Dann könne es gelingen, Städte kindgerechter, lebenswerter und nachhaltiger zu gestalten. Das Auto hingegen sei dafür zu dominant, nehme zu viel Platz ein und gefährde Menschen. Das sage sie nicht aus Hass: „Durch das Hinterfragen von Automobilität gehe ich aber an Privilegien heran, die als Recht missdeutet werden.“ Das sitzt.

Flaniermeilen und lobbypolitische Hintergründe

Doch das Buch lässt sich auch als etwas ganz anderes als eine Provokation lesen, nämlich als Vision eines Lebens mit bedürfnisorientierter Mobilität. Diehl durchdenkt, in welchem Maß das Auto unser Leben beherrscht, Siedlungsstrukturen beeinflusst und unsere Straßen monopolisiert. Sie zeigt Beispiele eines sukzessiven Rückbaus dieser Dominanz in Metropolen wie Barcelona, Paris oder Kopenhagen und nimmt ins Visier, dass wir in Städten viel Platz für stehende Fahrzeuge reservieren: „Was bedeutet die Freiheit, ein Auto durchschnittlich nur 45 Minuten am Tag zu benutzen, es aber kostenlos im öffentlichen Raum abstellen zu dürfen, für jene, die neben dem Auto wohnen?“

Katja Diehl: „Autokorrektur“. Mobilität für eine lebenswerte Welt.


Katja Diehl: „Autokorrektur“. Mobilität für eine lebenswerte Welt.
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Bild: S. Fischer Verlag

Mit ihrem Perspektivwechsel gelingt es ihr, die Absurdität einer vom Auto beherrschten Verkehrsstruktur sichtbar zu machen. Sie blickt in die Geschichte zurück und erinnert an Flaniermeilen, bevor motorisierter Individualverkehr die Städte beherrschte. Indem sie rechtliche, kulturelle und lobbypolitische Hintergründe beleuchtet, wird ein Netz sichtbar, das eine Verkehrswende bislang verhindert. Weil Autohersteller mit dem Begriff „Schlüsselindustrie“ alle für ihr wirtschaftliches Wohl in Mithaftung nähmen, werde ihr Interesse entschieden übergewichtet. Gemeinsame Arbeit an einem Verkehrskonzept, das Interessen aller Beteiligten einbezieht, findet nicht statt.

Interviews mit Menschen auf dem Land

Diehls Buch ist ein großer Wurf und nicht, wie ihr unterstellt wird, das Pam­phlet einer Aktivistin. Um eine Utopie zu entwerfen, muss sie vom Maximum, der autofreien Stadt, ausgehen. Was daraus im politischen Prozess durch Diskussionen der Interessenvertreter wird, ist eine ganz andere Frage. Sie beschreibt einleuchtend die Zumutungen durch die Auto-Dominanz, setzt sich offen mit wichtigen Gegenargumenten auseinander. Natürlich ist der bestehende Nahverkehr heute noch keine Alternative, und natürlich ist ein Leben auf dem Land ohne eigenes Auto momentan schwer möglich.

Doch dieses In-Alternativen-Denken ist ein wichtiges Element des Buchs. Die Autorin verlässt sich nicht einfach auf floskelhafte Forderungen und scheinbare Wahrheiten wie „Mobilität muss auch für Arme bezahlbar bleiben“ oder „Auf dem Land kann man aufs Auto nicht verzichten“. Stattdessen hat sie viele Interviews mit Menschen auf dem Land, mit geringem Einkommen oder mit Beeinträchtigung geführt, die ihr erklären, dass sie unfreiwillig aufs Auto angewiesen sind.

Lebensräume müssen repariert werden

Mit den Ergebnissen dieser vierzig Interviews, die im Buch zusammengefasst sind, liefert sie Argumente dafür, wie sich Mobilität auch ohne Auto bedarfsgerechter gestalten ließe. Könnte die Krankenschwester schon um sechs Uhr morgens mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren oder wären alle Züge barrierefrei oder wäre eine Transperson abends vor Übergriffen geschützt, wären diese Menschen alle nicht auf den Individualverkehr angewiesen. Gäbe es Carsharing-Konzepte oder Fahrgemeinschaften im ländlichen Raum, wäre die Dominanz geringer.

Es gefalle ihr gar nicht, dass es als mutig gelten müsse, Städte den Menschen zurückzugeben, aber „dieser eine erste Schritt scheint der schwerste zu sein: anzuerkennen, dass wir unsere Lebensräume reparieren und dafür dem Auto die Exklusivität nehmen müssen“. Es sind sehr dicke Bretter zu bohren und Bequemlichkeiten zu überwinden, um anderen Mobilitätsformen wieder eine gleichberechtigte Stellung zu verschaffen. Katja Diehl listet viele Argumente auf, warum das Leben gewönne, wenn es gelänge. Ihr Buch hilft dabei, den Kopf freizubekommen von allen scheinbaren Notwendigkeiten.

Katja Diehl: „Autokorrektur“. Mobilität für eine lebenswerte Welt. Illustrationen von Doris Reich. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2022. 272 S., Abb., br., 18 Euro.

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