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#Bald sind wir aber Gesang

Bald sind wir aber Gesang

Im Schatten der Hochhäuser Frankfurts fährt ein unscheinbares grünes Boot auf dem Main. Die Fahrgäste scheinen sich auf dem Aussichtsdeck platziert zu haben, um die Skyline zu betrachten. Doch bei genauem Hinsehen, das Schiff nähert sich langsam dem Ufer, verwandeln sich die Silhouetten in plastische Formen. Nicht Menschen sind auf dem Deck versammelt, sondern zehn Lautsprecher, die in bunte Stoffgewänder gehüllt sind. Ein christlicher Choralgesang erklingt aus den Boxen – erst einstimmig, dann vielstimmig, plötzlich engelsgleich. „Fear reigned in human hearts. But hope has managed to preserve her face.“

Verantwortlich für die mehrkanalige Soundlandschaft ist der nigerianische Tonkünstler Emeka Ogboh, der Frankfurt und der Welt mit seiner Installation „This too shall pass“ – „Auch das geht vorbei“ eine trostspendende Hymne geschenkt hat. Der Titel ist an einen Satz angelehnt, der sehr oft als Durchhalteparole während der Covid-Pandemie gefallen ist und den der Künstler als Ausgangspunkt genommen hat für diese Installation, die sich mit dem Folgen der Pandemie auseinandersetzt und die Wiedergeburt des gesellschaftlichen Lebens zelebriert.

Nichts ist für immer. Nicht einmal Corona

Die Hymne hat er selbst komponiert. Sie verbindet Elemente des christlichen Chorals mit afrikanischen Rhythmen und neukomponierten, experimentalen Klängen. Ogboh setzt sich mit dem Gesang als gemeinschaftsstiftender Handlung auseinander. Was bedeutet das Singen in der Gruppe, was ist die Musik für unterschiedliche Kulturen, in einer Welt der Krisen, wo der Gesang zu oft verstummt? Der andächtige Choral wandelt sich in eine feierliche Fanfarenode. „Nichts ist für immer. Nichts in unserem Leben. Nicht einmal Corona“, sagt der Künstler. Die Gesänge sind am ganzen Mainufer zu hören. Im Wind wehen die braunen und orangen Tücher, die auch auf dem Eisernen Steg, der zweitältesten Brücke der Stadt, den Weg weisen sollen. Sie hängen an den Laternenmasten wie Flaggen bei einem Staatsbesuch. Mit der Klanginstallation und den Stoffbahnen verbindet Ogboh säkuläre und klerikale Orte Frankfurts miteinander.

Die Installation, kuratiert von Juliane von Herz für die Kulturstiftung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, ertönt am Römerberg, dem politischen Herzen der Stadt, sie erklingt leise in den verwinkelten Gassen der Altstadt und beschallt die neugotische Dreikönigskirche im Stadtteil Sachsenhausen mit sozialkritischen Versen. „Vaccine anxiety, lockdown so grave, conspirancy theories riding the wave.“ Hier, im Kirchenschiff der Hallenkirche, sind wieder die Stofftücher mit ihren geometrischen Motiven angebracht, und die Hymne erklingt auf Deutsch, Englisch und Igbo, eine der zweihundertfünfzig Sprachen Nigerias. Die Kirche war 1525 die erste reformierte Kirche der Handelsstadt Frankfurt, der Kirchengesang wurde hier demokratisiert, war nicht mehr nur dem Klerus vorbehalten. Jeder soll singen dürfen – das ist auch das Credo von Ogboh.

Ogboh will sich ins visuelle Gedächtnis hineinweben

Die Musik wurde von Chören in der nigerianischen Metropole Lagos und in Frankfurt im Frühjahr eingesungen. Der Chorgesang ist das, was die Kulturen zusammenbringen soll, aber auch das Symbol der christlichen Missionierung der nigerianischen Bevölkerung. Die Tücher, aus Akwétè-Stoff, verbinden ebenso nigerianische und europäische Einflüsse, denn sie entstammen der Igbo-Tradition des Stoffwebens, die bis heute in Westnigeria praktiziert wird. Weberinnen haben den Text des Liedes darin visualisiert. Mit ihren erdigen Farben und der Verallgemeinerbarkeit der Symbole – drei nach unten gerichtete Dreiecke stehen für die Wirtschaftskrise, die geschlossene Tür für den Lockdown, die grünen Farbfelder für Hoffnung – will Ogboh sich hineinweben ins visuelle Gedächtnis.

An roten Fäden jedenfalls herrscht kein Mangel. Und in der Hymne erwähnt Ogboh auch die politischen Stichworte des vergangenen Jahres – den Mord an George Floyd, Fake News, Rassismus, den Klimawandel und die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen im Gesundheitssektor. Im Mittelpunkt der Inszenierung steht aber die Lebensader Frankfurts, der Main. Für Ogboh ist ein Fluss das kulturelle Gedächtnis eines Ortes und Symbol für die Vergänglichkeit des Lebens. Das Boot hält an drei Anlegestellen und übermittelt die Botschaft – „This too shall pass like those before.“

Es geht um die Welt und das ganze Zusammenleben

Emeka Ogboh, geboren 1977, ist einer der bekanntesten zeitgenössischen Video- und Klangkünstler seiner Generation und eine bedeutende Stimme im afrikanischen Kunstdiskurs. Seit Jahren mixt er Geräusche, Lieder, Stimmengewirr und Tonfragmente zu Klangcollagen und dokumentiert den Sound von Lagos. Der Künstler hat mit seine politischen Werken an internationalen Ausstellungen teilgenommen, darunter die Biennale von Venedig und die Documenta 14 in Athen. Vor einigen Wochen hat er sich mit einer Plakatkampagne in Dresden für die Restitution der Benin-Bronzen eingesetzt. Momentan lebt und arbeitet er in Lagos und Berlin. Auch in seinem Geburtsland Nigeria setzt sich der Künstler seit Jahren für die zeitgenössische Kunst ein. Ogboh ist einer der Mitbegründer des Video Art Networks, einer Plattform zur Förderung junger Videokunst in dem afrikanischen Staat.

„This too shall pass“ schallt unterdessen in alle Himmelsrichtungen hinaus und soll die Stadtgesellschaft zu einem kollektiven Moment der Erinnerung zusammenbringen. „Ja, es hat auch mit Corona zu tun“, sagt Ogboh bei der Betrachtung des Soundbootes. Aber es gehe ihm bei dem Text um mehr, „um die Welt und das ganze Zusammenleben“. Über allem stehe „die politische wie menschliche Frage, wie wir in Zukunft miteinander leben wollen“. Sicher ist schon jetzt, dass sich auch die Hymne ins Stadtgedächtnis einprägen wird. Das Boot legt wieder ab und fährt zur nächsten Anlegestelle, die Zeremonie ohne Menschen wird fortgeführt, wieder erklingt der Chorgesang. „With hope Life will return true to the core.“

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