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#Ein Workshop in Empathie

„Ein Workshop in Empathie“

Außergewöhnlich schöne Bilder sind in Florian Heinzen-Ziobs neuem Film „Dancing Pina“ von Bauschs vielleicht berühmtesten Werk zu sehen, dem „Sacre du printemps“. Ist es im Original ihrer „Das Frühlingsopfer“ genannten Version von 1975 so, dass die Tänzerinnen mit ihren langen, offenen Haaren und den zarten, seidendünnen kurzen Kleidern einen hinreißenden Kontrast zum dunklen, duftenden Torf des Bühnenbodens bilden, so sieht man in dem Dokumentarfilm „Dancing Pina“ ein afrikanisches Ensemble zu­nächst in Germaine Aco­gnys weltbekanntem Tanzzen­trum, der Ecole des Sables, und dann am Meer.

Die Schule hat ein Tanzstudio, dessen vierte Wand sich komplett öffnen lässt, und so zeigt Heinzen-Ziob die Probenarbeit innen mit dem Bild einer hitzeflirrenden Natur dahinter. Das ist eine wundervolle Hommage an jene von Reisen inspirierten, späteren Stücke von Pina Bausch, in die sie stets Bilder von unterwegs integrierte. Aber auch in früheren Bühnenbildern ist die Natur präsent, in Form von Felsen, Blumen, Wasser oder Tieren. Was also in Theatern weltweit auf Torf getanzt wird, der rituelle Opfertod eines Mädchens, das sehen wir am Schluss des Films auf Sand, vor einem grandiosen Himmel und Meer, in einem Licht, von dem Europa nur träumen kann.

Dem kontrastiert der Regisseur einen zweiten Schauplatz, den der Studios und Bühne der Dresdner Semperoper, wo die Company „Iphigenie auf Tauris“ erlernt, ein zentrales Meisterwerk des europäischen Barock. Der Film erzählt, wie verschiedene Generationen von Wuppertaler Bausch-Tänzern zwei ihrer Werke Jüngeren außerhalb übertragen. Dieser Arbeit zuzuschauen, diesen Prozess zu begleiten ist ein Workshop in Empathie, Kommunikation und künstlerischem Ausdruck. Das ist ein gutes Zeichen für die Zukunft dieses Erbes.

Es bleibt nämlich nach wie vor unvorstellbar schwierig, das Werk von Choreographen nach deren Tod am Leben zu halten. Ihre unmittelbaren künstlerischen Hinterbliebenen sind überwiegend Tänzer. Aber jedes Ensemblemitglied hat andere Erinnerungen, hatte eine andere Beziehung zum Werk. Wie viel bekommt ein Tänzer, der in einem Stück auftritt, von den anderen, ihren Partien und von dem Gesamteindruck mit, wie viel weiß das Teilchen?

Nach dem Tode Martha Grahams, der großen amerikanischen Pionierin des Modern Dance, brach, nicht gleich, aber in der nächsten Generation, eine traurige Zeit für ihre Stücke an. Tänzer arbeiten nicht gerne in einem Museum. Sie brauchen Repertoire, an dem sie wachsen können, aber auch Choreographen, mit denen sie Neues erfinden können, die sie inspirieren und ihre Bewegungsintelligenz herausfordern.

Die Martha Graham Dance Company wirkte damals matt. Hätte man die Company damals besser geschlossen, Mitte der neunziger Jahre? Von heute aus betrachtet, sicher nicht. Die Martha Graham Dance Company ist ein faszinierendes Beispiel einer gelungenen Transformation. Manchmal dauern solche Prozesse eben lange. Selbst das New York City Ballet, dessen Gründer George Balanchine 1983 starb, durchlebte seither Phasen, in denen Publikum und Kritik nicht nur den Tod des Choreographen betrauerten, sondern auch wehmütige Erinnerungen an frühere Besetzungen austauschten. Doch die jetzige fabelhafte Generation hat all das vergessen gemacht.

Film hat die Möglichkeiten des Tanzes erweitert

Es hängt von den Tänzern ab, wie lebendig die Tänze Verstorbener noch wirken. Im Fall von Merce Cunningham, dem 2009 im selben Sommer wie Pina Bausch verstorbenen amerikanischen postmodernen Meisterchoreographen, gehen alle, die sein Werk lieben, durch eine sehr harte Zeit. Am besten getanzt werden seine Stücke vom Ballet de Lorraine, einstudiert durch Petter Jacobsson, den Direktor, und Thomas Caley, einen der souveränsten Cunningham-Tänzer aller Zeiten.

Im kommenden Frühjahr kann man dort wieder Cunningham’s „Sounddance“ sehen. 2019 kam Alla Kovgans großartige filmische Hommage an Cunningham in die Kinos, aber wer gehofft hatte, dass mehr Ballettdirektoren Werke von ihm ins Repertoire aufnehmen würden, sah sich getäuscht. Bereits 2011 wurde Wim Wenders’ Film über Pina Bausch zu einem Kinoerfolg. Was Wenders 2009 als Film mit ihr geplant hatte, musste er dann als posthume Würdigung drehen.

So sehr der Tanz als maßgebliche Kunstform die Avantgarde zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts prägte, so sehr hat der Film die Möglichkeiten des Tanzes erweitert, vor allem als Gedächtnisspeicher. Dank der frühen bewegten Bilder haben wir eine Ahnung davon, wie Loie Fuller wirklich tanzte. Komplette Choreographien können nicht mehr nur notiert werden, sondern aus so vielen verschiedenen Kameraperspektiven aufgezeichnet werden, dass wirklich eine Einstudierung auch noch in hundert Jahren auf dem Mars theoretisch möglich ist. Das New York City Ballet dokumentiert filmisch, wie Tänzer die Rollen, die Balanchine ihnen anvertraute, an die nächste Generation übergeben. Etwas Ähnliches ist jetzt dem Film Florian Heinzen-Ziobs in seiner unaufdringlichen, aber immer nahen und sensiblen Erfassung des Miteinandertanzens eindrücklich gelungen.

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