Nachrichten

#„Bergpredigt“ aus dem „Führerbau“ kommt zur Auktion

Das Ganze kam ins Rollen, als der Münchner Kunsthistoriker Stephan Klingen 2008 eine Episode der populären BR-Fernsehsendung „Kunst + Krempel“ schaute. Um echte oder vermeintliche Familienschätze geht es dort, wenn Laien Objekte aus ihrem Besitz Fachleuten zur Begutachtung vorlegen. Was dieses Mal in die Kamera gehalten wurde, war aber kein Schatz, dessen Besitzes man sich umstandslos rühmen konnte, sondern mindestens Diebesgut, wenn nicht gar NS-Raubkunst.

Klingen, Experte auf dem Gebiet, kannte das flach querformatige Tafelbild des Antwerpener Barockmalers Frans Francken des Jüngeren, das Jesus bei der Bergpredigt zeigt und über das ein Riss verläuft, von Abbildungen. Bis zum 30. April 1945 hatte es in München im sogenannten Führerbau gelagert, als eines von Hunderten Kunstwerken, die das NS-Regime für das geplante „Führermuseum“ in Linz geraubt oder gekauft hatte. Kurz nach Hitlers Selbstmord in Berlin schon wurde das Münchner Depot geplündert. Es ist immer noch einer der größten ungeklärten Kunstdiebstähle des vorigen Jahrhunderts.

Die meisten gestohlenen Objekte sind nie wieder aufgetaucht – Frans Franckens „Bergpredigt“ allerdings schon. Nach dem Auftritt im Fernsehen wurde das Bild von der Staatsanwaltschaft München wegen Verdachts auf Hehlerei umgehend beschlagnahmt. Anderthalb Jahrzehnte später, nach letztlich unbefriedigt verlaufenen juristischen Auseinandersetzungen und kunsthistorischen Recherchen, kommt es am 21. September bei Neumeister in München zur Auktion, taxiert auf 40.000 bis 60.000 Euro – und lässt dabei doch selbst die Geschäftsführerin des Auktionshauses, Katrin Stoll, „ratlos“ zurück.

Diebesgut, in der Familie weitergereicht

Denn wem das Gemälde einst gehörte, ob es womöglich aus jüdischem Vorbesitz stammt, ist immer noch unklar. Weiter zurück als bis 1943 reicht die Provenienzgeschichte nicht, trotz aller vom Auktionshaus und der Einlieferin unterstützter Recherchen Klingens mit dem Zentralin­stitut für Kunstgeschichte. In jenem Jahr kaufte der Kunsthändler Hildebrand Gurlitt – dessen Dienste für den NS-Staat nach dem „Schwabinger Kunstfund“ von 2012 mit Blick auf die Werke in der Wohnung seines Sohnes Cornelius Gurlitt von einer „Taskforce“ untersucht wurden – die „Bergpredigt“ im besetzten Frankreich aus unbekanntem Privatbesitz, vermittelt von dem Kunstagenten Theo Hermsen, für 150.000 Franc. Im von den Besatzern festgesetzten Wechselkurs entsprach der Preis 7500 Reichsmark. 10.000 Reichsmark ließ Gurlitt sich vom Planungsstab des Linzer Museums zahlen.

Hildebrand Gurlitt


Hildebrand Gurlitt
:


Bild: dpa

Wäre das fromme Bild beim „Führerbau“-Raub nicht zum Diebesgut geworden, es wäre von den amerikanischen Besatzern zurück nach Frankreich geschickt worden. So aber landete es im Besitz des Münchner Kasernenwarts Alois R. War er einer der Plünderer? Kaufte oder ertauschte er das Gemälde? Seine Tochter, die es von ihm als Geschenk erhielt und deren Sohn es zu „Kunst + Krempel“ brachte, soll es nicht gewusst haben, war aber bereit, das Werk Vorbesitzern oder deren Erben zurückzugeben, so sie ausfindig gemacht würden. An die Bundesrepu­blik als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs zurückgeben wollte sie es nicht.

Eine kalte Spur nach Wien

Für den deutschen Staat wurde das damals zuständige Bundesamt für offene Vermögensfragen tätig und stellte fest, dass 1938 die Gestapo in Wien die Sammlung der Jüdin Valerie Honig taxierte. Auch eine auf 750 Reichsmark geschätzte „Bergpredigt“ von Frans Francken wurde ihr vor ihrer Deportation und Ermordung genommen. Da weder Erben noch jüdische Interessensvertretungen Ansprüche innerhalb der Fristen des bundesdeutschen Wiedergutmachungsgesetzes gestellt haben, war das Bundesamt aus dem Schneider. Und für Privatleute sind die „Washingtoner Prinzipien“, nach denen „faire und gerechte“ Lösungen mit Vorbesitzern geraubter oder verfolgungsbedingt entzogener Kunst getroffen werden sollen, nur Empfehlungen, die Beratende Kommission NS-Raubgut ist nicht zuständig. So oder so führt die Spur nach Wien in eine Sackgasse: Weder Klingen noch die dortige jüdische Gemeinde glauben, dass Valerie Honigs „Bergpredigt“ das Bild ist, das Gurlitt in Paris als „Scène biblique“ erstand.

Die Justiz zog 2014 einen zivilrechtlichen Schlussstrich und sprach das Bild den Erben von Alois R. zu: Der Diebstahl ist verjährt, das „in gutem Glauben“ übernommene Gut wurde „ersessen“. 2017 hat das Auktionshaus das Bild von der heutigen Besitzerin, einer Großnichte Alois R.s, übernommen, es gelagert, versichert und erforschen lassen. Zwei Museen der öffentlichen Hand hätten sie die „Bergpredigt“ angeboten, ohne auf Interesse zu stoßen, sagt Katrin Stoll. Sie wünscht sich einen Fonds des Bundes für Fälle wie das Gemälde Franckens oder zumindest eine Beratungsstelle für Privatleute mit Werken fraglicher Provenienz. Klingen schlägt Projektgelder für das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste vor. Der Anwalt der Einlieferin betont derweil, seine Mandatin wolle vor allem einen Schlusspunkt gesetzt sehen hinter das quälende Hin und Her um die „Bergpredigt“.

Aus dem Limbus der Ungewissheit wird das Gemälde auch die Versteigerung nicht erlösen. Wer immer es erwirbt, könnte Überraschungen erleben. Aber hätte man deshalb von der Besitzerin verlangen können, es zu verschenken? Oder es dem Handel weiterhin entziehen sollen? Die Auktion mag nicht selig machend sein, aber nach rechtlicher und fachlicher Lage der Dinge ist sie pragmatisch und gut zu rechtfertigen.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!