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#Betten leer, Kassen voll

Betten leer, Kassen voll

Normalerweise bekommen Krankenhäuser Geld dafür, dass sie Patienten behandeln. Je komplizierter der Fall, desto höher die Vergütung. Die Corona-Seuche hat diese Regel zumindest vorübergehend außer Kraft gesetzt. Im vergangenen Jahr, von März bis September, gab es eine Pauschale vom Staat, wenn die Krankenhäuser Betten freihielten, um für den befürchteten Anstieg der Covid-19-Patientenzahlen gewappnet zu sein.

Sebastian Balzter

Sebastian Balzter

Redakteur in der Wirtschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Dass diese Freihaltepauschale für manche Klinik ein gutes Geschäft sein würde, vor allem für die kleineren Häuser mit wenigen komplizierten Fällen, war schnell abzusehen. Inzwischen liegen Berechnungen vor, die diese Annahme eindrucksvoll bestätigen.

Die TU Berlin und das Essener Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung mit dem Gesundheitsökonomen Boris Augurzky haben in einer detaillierten Analyse auch gleich noch herausgefunden, welche Krankenhäuser besonders von der eilig beschlossenen Notfallmaßnahme profitiert haben: Es waren die rund 500 Psychiatrischen Kliniken im Land.

Nicht bloß, dass die Freihaltepauschale von 560 Euro je Bett und Tag ungefähr doppelt so hoch war wie ihre üblichen Einnahmen. Sie haben ihre Auslastung zudem auch noch etwas stärker reduziert, also im Verhältnis mehr Platz freigemacht als die übrigen Kliniken, was ihren Anspruch auf die Prämie erhöht hat. Unterm Strich steht für sie ein Plus von knapp einer Milliarde Euro; 80 Prozent aller deutschen Psychiatrie-Kliniken haben in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres dank der Pauschale mehr verdient als in anderen Jahren, in denen sie mehr Patienten zu behandeln hatten.

„Eine sonderbare Idee“

Das klingt nach einem Schildbürgerstreich; die Pointe kommt aber erst noch. Sie besteht darin, dass die Bundesregierung mit der Freihaltepauschale auf diesem Weg ausgerechnet diejenigen Krankenhäuser zu den größten Profiteuren der Krise gemacht hat, die für die Aufnahme von Covid-Patienten grundsätzlich am wenigsten geeignet sind.

In einer Psychiatrischen Fachklinik gibt es üblicherweise weder Beatmungsgeräte noch eine Intensivstation, vom geeigneten Fachpersonal ganz zu schweigen. Wie soll man dort eine Lungenkrankheit behandeln? „Das war eine wenig nachvollziehbare Vorstellung“, sagt Iris Hauth, die ärztliche Direktorin und Geschäftsführerin der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Berlin-Weißensee.

Hauth ist zugleich in der Geschäftsleitung der Alexianer, eines katholischen Krankenhaus-Konzerns mit gut einer Milliarde Euro Umsatz im Jahr, für die Entwicklung der Psychiatrie-Sparte mit mehr als 2000 Betten an verschiedenen Standorten zuständig. „Wir haben in unseren Fachkliniken nie einen Covid-Patienten zugewiesen bekommen“, sagt sie. „Intensivpatienten hätten wir auch nicht behandeln können.“

Gut für die Bilanz, schlecht für die Patienten

Es dauerte ein Vierteljahr, bis sich auch im Gesundheitsministerium die Einsicht durchsetzte, wie sonderbar unter diesen Voraussetzungen die in der Not und offenkundig ohne allzu tiefen Sachverstand beschlossene Regelung war; dann wurde die Freihalteprämie für die Psychiatrien zwar noch nicht abgeschafft, aber immerhin halbiert.

Für die Bilanz sei die Regelung kein Nachteil gewesen, räumt Krankenhausgeschäftsführerin Hauth ein. Für die Versorgung der Patienten dagegen sehr wohl, zumal auch die ambulanten Angebote in den Tageskliniken, etwa Gruppenarbeit für Patienten mit Depressionen oder posttraumatischen Störungen, aus Sorge vor Ansteckungen stark eingeschränkt worden seien.

Haben die Psychiatrien dennoch besonders gierig nach dem Geld vom Staat gegriffen? Diese Annahme liegt nahe, weil sie den Berechnungen der Gesundheitsökonomen zufolge ihre Auslastung während der ersten Corona-Welle um fast 2,5 Prozentpunkte mehr gesenkt haben als die anderen Krankenhäuser.

Boris Augurzky vom Leibniz-Institut mag den Kliniken trotzdem kein kaltschnäuziges Gewinnstreben unterstellen. Die Politik habe von allen Krankenhäusern unmissverständlich verlangt, auf verschiebbare Behandlungen zu verzichten. Deren Anteil sei in der Psych­iatrie generell höher als etwa in der Chir­urgie oder in der Onkologie, wo es viel mehr Notfälle und unaufschiebbare Eingriffe gebe.

Freihaltepauschen zahlt der Staat den Psychiatrien inzwischen gar nicht mehr. Beschränkungen aber gibt es nach wie vor. Die Produktivität auf den Stationen ist als Folge der Pandemie zwangsläufig gesunken, es gibt zum Beispiel keine Dreibettzimmer mehr. Deshalb kehrt sich nun die wirtschaftliche Lage um. Klinikleiterin Hauth aus Berlin-Weißensee spricht von bis zu 15 Prozent weniger Belegung auf den Stationen und 40 Prozent weniger Patienten in der Tagesklinik. „Wir rechnen für das laufende Jahr mit deutlichen Einbußen – und vor allem mit anhaltender eingeschränkter Versorgung der Patienten.“

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