#Bierflasche statt Sex

Sich nach Feierabend auf dem Sofa lümmeln und eine Tüte Chips verzehren, daran können wir uns nur allzu leicht gewöhnen. Es ist nicht nur die Macht der Gewohnheit, die uns faul und schwerfällig macht. Dahinter stecken ursprünglich sinnvolle Instinkte, die uns helfen, möglichst einfach und schnell unsere Energievorräte aufzufüllen.
In der Wohlstandsgesellschaft werden Gewohnheiten jedoch zu Gesundheitsrisiken. Die Folge: Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes und so weiter. Schuld daran ist unser Gehirn, das in Jahrmillionen der Evolution gelernt hat, auf bestimmte Schlüsselreize zu reagieren. Der dänische Molekularbiologe Nicklas Brendborg erläutert die Wirkungsweise der biologischen Mechanismen unterhaltsam und leicht verständlich, mit Beispielen aus der Tierwelt.
So lassen sich australische Prachtkäfer bei der Partnerwahl von leeren Bierflaschen täuschen. Die Männchen schwirren in der Paarungszeit umher und halten Ausschau nach einem schwachen bräunlichen Glitzern. Daran erkennen sie für gewöhnlich paarungsbereite Weibchen. Eine weggeworfene braune Glasflasche, die im Sonnenlicht glitzert, übt jedoch eine viel stärkere Anziehungskraft auf die männlichen Prachtkäfer aus. Gelenkt durch angeborene Instinkte bevorzugen sie die Flaschen, und die Weibchen der Prachtkäfer bleiben unbegattet.
Die Evolution belohnt die Suche nach dem bräunlichen Glitzern. Dumm nur, dass in der heutigen Welt das Glas der Bierflaschen stärker glitzert als die Weibchen. Das Gehirn wird mit dem Belohnungshormon Dopamin geflutet, aber die Belohnung läuft ins Leere. Dahinter stecken so genannte Superstimuli: unnatürlich starke Reize, auf die Tier und Mensch stärker reagieren als auf die ursprünglichen Ziele unserer Instinkte. So ist unser Verlangen nach Zucker, Fett oder Salz angeboren. Die Nahrungsmittelindustrie nutzt das schamlos aus. Die Tüte Chips als Superstimulus wird zur Gewohnheit, von der wir nicht mehr lassen können.
Nicklas Brendborg gelingt es in seinem zweiten Buch erneut, komplizierte Prozesse verständlich darzustellen. Wie schon bei seinem Erstling „Quallen altern rückwärts“ schafft er es, mit vielen, teilweise skurrilen Geschichten aus der Natur nicht nur zu informieren, sondern auch zu unterhalten, ohne dem wichtigen Thema seine Brisanz zu nehmen. Michael Lange
Nicklas Brendborg
Gewohnheitstiere
Wie Industrie und Wissenschaft unsere Instinkte manipulieren
Quadriga, 320 S., € 24,–
ISBN 978-3-86995-146-1
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