#Billy Idol und Sex Pistols rocken Berlin
Inhaltsverzeichnis
Kunst benötigt immer Antikunst als Korrektiv, so endete Anselm Kiefer seine Dankesrede für den Nationalpreis vorigen Donnerstag. Die Sex Pistols aus England waren die Antikunst, die das erstarrte Großbritannien und der Schlaf-Rock der mittleren Siebzigerjahre brauchte. Freilich gab es wenig Artifizielleres als das damalige Erscheinungsbild der Sex Pistols: Die Haare kunstvoll mit Bier und Unmengen Spray toupiert, jedes Loch im T-Shirt saß ebenso präzise wie der ästhetisch zerschlissene Union Jack als geknotetes Kopftuch auf dem Haupt des Gitarristen; von den mit zahllosen altenglischen Sinnsprüchen wie „Fuck da System“ besprühten Lederjacken ganz zu schweigen; enge Lederhosen überhaupt, die der Bibel zufolge das Urkleid des aus dem Paradies vertriebenen Menschen waren, die letzte Gabe Gottes vor dem Horror der harten Lebensalltags und die Elvis Presley und nicht ohne Grund bei seinem legendären Auftritt ganz in Lederkluft aufnahm.
Wie man heute weiß, stammen viele dieser szeneprägenden Modedetails von der begnadeten Designerin Vivienne Westwood. Hätte aber diese Antikunst des Punk nicht existiert, hätte es auch nicht New Wave und die Selbstermächtigung viele Jugendlicher in den frühen Achtzigerjahren gegeben, todesmutig und ohne mehr als fünf Akkorde auf der Gitarre spielen zu können, Bands zu gründen – zum Teil mit erstaunlichem musikalischen Nachhall bis heute.
Musik für Mitwisser
Auf der Bühne der Zitadelle Spandau in Berlin vier nette Bald-Siebzigjährige, der überlebende Rest der Sex Pistols und der ebenfalls unruhig gelebt habende Sänger Billy „Häuptling zuckende Oberlippe“ Idol mit seinem Generation-X-Bassisten, und wirken fest entschlossen, die Energie der Siebzigerjahre möglichst ehrlich auf die Bühne zu bringen bei ihrem einzigen Deutschland-Konzert. Der Pistols-Trommler Paul Cook mit fast unverändert dottergelben Wuschelhaaren drischt auf die Felle ein wie Ronnie „Das Tier“ aus der „Muppet Show“, sein Drumset ist vermutlich so gut abgemischt wie noch nie im Leben, dank der preußischen Präzision beim Soundcheck, auch etwas eher Seltenes in der Bandhistorie.
Steve Jones spielt die Lieder mit gewohnt kurzem Nachhall traumsicher, nur dass er sich inzwischen mehr Soli gönnt als weiland; lediglich für „No Future“ wechselt er die Gitarre, was er mit den Worten „You will hear why“ bündig anmoderiert. Dieselbe Souveränität gilt für den Bassisten Tony James, der weiße Jeans zu einem weißen T-Shirt trägt und damit glänzend frisch aussieht wie ein Pizzabäcker aus Leeds, nur dass auf seinem T-Shirt der Bandname Generation Sex steht, eine Kopulation aus der letzten Band des jetzigen Sängers Billy Idol, Generation X, und eben den Sex Pistols, durchaus aber auch eine ironische Ansage in Hinblick auf den Körper nicht schonenden und aktuell nicht angesagten Hedonismus. Wie man Idol auch anstandslos den Johnny Lydon am Mikrofon mit seiner nicht minder manierierten Gestik – dem wiederholt in die Seite gerammten, angewinkelten Pathosformel-Arm – und eben der zuckenden Oberlippe abnimmt, die schon der abwesende Sänger der Sex Pistols, Johnny „Rotten“ Lydon, zeigte.
Mit dem Klassiker „Pretty Vacant“ wird eingeleitet, es folgt ein Best-of der Lieder beider Bands, wobei kluge Interpretationen von „Pretty Thing“, „Bodies“, „Kiss Me Deadly“ und „Dancing With Myself“ herausragen. Auch lässt sich noch einmal die sehr britische Hymnenhaftigkeit und damit grundsätzliche Fußballstadiontauglichkeit des Punks erleben. „I Did It My Way“, der Sid-Vicious-Klassiker mit im Video dadaistischer Publikumsbeschießung am Ende, rundet ab. Wie brüchig die Stimme von Billy Idol inzwischen ist, erweist sich bei den kurz angebundenen Ansagen, für die überwiegend eher kurzen Zeitmaschinenlieder reicht es allemal, ohnedies kommt man auf dieses Konzert nicht wegen der musikalischen Qualität. Es herrscht eine Stimmung des unausgesprochenen „Jajajaneeneenee, weißt du noch?“-Mitwissertums.
Die Fans sind ebenso gut gealtert wie die Band. Phänotypische Punks mit Irokesenschnitt gibt es mangels Haarmasse kaum. Statt die Asche von Muttern und andere Unbotmäßigkeiten bei Teenie-Konzerten werden tatsächlich akkurat gebundene Blumen auf die Bühne geworfen, beim fotografischen Dokumentieren und Weitersenden des Bildes taucht beim Vordermann eine SMS mit außergewöhnlich schönem Blumen-Bild und der lobenden Beischrift des Empfängers „Tolle Kletterrosen!“ auf dem Display auf. Antikunst wurde Kunst, nicht wenige im Publikum gehören zur Berliner Künstlerszene. Und alle hatten Spaß.
Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.
Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.
Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.