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#Brasilien: Man spricht deutsch | Augsburger Allgemeine

„Brasilien: Man spricht deutsch | Augsburger Allgemeine“




Pomerode ist vor 160 Jahren von deutschen Einwanderern gegründet worden. Wie Osterbräuche die Zeit überdauert haben.

Der Lautsprecher im Gasthaus Bierwein, der unweit vom selbst gewählten Sitzplatz irgendwo an der Decke hängt, hat die Aufgabe des Stimmungsmachers übernommen. „Life is live“ tönt es von dort aus den Mündern der steirischen Rockband Opus. Wenig später trällert die ebenfalls österreichische Gruppe Nickerbocker & Biene „Hallo Klaus“ samt Ohrwurm-Refrain „I wü nur zruck zu dir“. Das ist wunderbar, schließlich sind die beiden Songs musikalische Tickets in die 80er und damit in die eigene Jugendzeit – und das ungefähr 11.000 Kilometer von zu Hause entfernt. Als Udo Jürgens dann noch „Aber bitte mit Sahne“ anstimmt, ist es wirklich genug – lukullisch jedenfalls. Denn in diesen Magen passt gar nichts mehr an jenem frühen Nachmittag, erst recht nichts mit Sahne.

Das Verdauungsorgan ist kurz zuvor massiv auf die Probe gestellt worden. Kredenzt wurde im „Bierwein“ ein typisch deutscher Speiseteller oder das, was der Gastronom dafür hält: Neben zwei Stücken Wiener Schnitzel sind es Kartoffeln, Reis, Töpfchen mit zweierlei Arten Senf und schließlich auf Sauerkraut gebettet eine Weißwurst und eine Bockwurst mit eher rätselhafter Konsistenz. Viel hilft viel, scheint hier das Motto nicht nur dieses Tages zu sein – als ob der Gast nach verrichteter härtester körperlicher Arbeit dringenden Nachholbedarf an Kalorien hätte.

Willkommen in Pomerode! Der 35.000-Einwohner-Ort bezeichnet sich gerne selbst als „deutscheste Stadt Brasiliens“. Da ist wohl eine Menge dran. Mitte des 19. Jahrhunderts siedelten sich 1000 Kilometer südlich von Rio de Janeiro Auswanderer aus Pommern an, die sich eine bessere Zukunft erhofften. Sie trotzten unter primitivsten Bedingungen dem hügeligen Land Boden ab, der urbar gemacht wurde, und bauten sich ihr „kleines Deutschland“ unter Palmen auf.

Die Landwirtschaft war lange Zeit der bestimmende Faktor für die Kleinstadt. Heute spielt sie „kaum mehr eine Rolle“, sagt Bürgermeister Ercio Kriek, der am Telefon gerne den ersten Botschafter seines Ortes gibt. Wenn es um Pomerode geht, ist der 52-Jährige auch am frühen Samstagvormittag hellwach.

Das zweite große Geschäftsfeld, mit dem viel Geld in Pomerode verdient wird, ist der Tourismus

Die Pflege der deutschen Wurzeln ist nicht nur ein Selbstzweck: Industriebetriebe bringen Arbeit. Unter anderem haben sich hier die Unternehmen Bosch Rexrodt (Stammsitz ist das unterfränkische Lohr am Main) und Netzsch (Selb, Oberfranken) angesiedelt.

Das zweite große Geschäftsfeld, mit dem viel Geld in Pomerode verdient wird, ist der Tourismus. Das weiß Armin Hedrich nur zu gut. Der 58-Jährige hat nicht nur seit 28 Jahren eine Motorradwerkstatt. Er betreibt mit seiner Familie darüber hinaus einen Schreibwaren- und Geschenkladen in der kurzen Einkaufsstraße im Herzen Pomerodes.

Man könnte meinen, die Redensart „Sich wie die Karnickel vermehren“ entspringt eben jenem Laden. Denn da ist vor lauter Hasen und Osterhasen für andere Geschenkartikel kaum mehr Platz. Die Tierchen mit den langen Ohren gibt’s in vielen Größen und Posen – auf jeden Fall in Scharen; und das in der zweiten Februarwoche. Hedrich hat sich nur auf das vorbereitet, was inzwischen Jahr für Jahr Menschenmassen nach Pomerode lockt: Feiern zu, vor allem aber vor Ostern.

Heuer wird das, bevor es dann wirklich Ostern ist, seit Mitte Februar zelebriert, acht Wochenenden lang. Am Kulturzentrum steht dann das nach eigenen Angaben mit knapp 16 Metern Höhe weltweit größte Osterei – eine Metallkonstruktion, die mit Kunststoff umhüllt ist; und daneben ein gefällter Baum, der ähnlich wie hierzulande ein Maibaum aufgestellt und mit Ostereiern behängt wird. „Das muss man sich ungefähr so vorstellen wie einen Weihnachtsmarkt“, sagt der mit 1,93 Metern Körpergröße herausragende Bürgermeister.

Eine Erinnerung an das vorösterliche Treiben ist unter anderem eine erworbene Hasenfigur. Andere, die es mit Hasen nicht so haben, schauen sich eher im Shop der örtlichen Brauerei um, die unter dem Namen „Schornstein“ ihre Produkte vertreibt. „Pilsen“ wird dort unter anderem verkauft, „Weiss“ und „Bock“.

Sandra Rehn und Gabriel Vargas bieten mit einem charmanten Lächeln die flüssige Ware an. Gekleidet sind sie wie viele Besucher des Münchner Oktoberfests – ein solches gibt es übrigens jedes Jahr auf dem Gelände der Villa Germanica in Blumenau, eine gute halbe Autostunde von Pomerode entfernt. Eine größere permanente Dirndl- und Lederhosenträgerdichte dürfte es vermutlich an keinem anderen Flecken in Brasilien geben.

Die Vorzüge Pomerodes scheinen wie ein Magnet zu wirken

Das alles ist geschäftstüchtige Folklore und hat nichts mit dem zu tun, was die Vorfahren einst ausgemacht hat. Zeugnisse vom beschwerlichen Leben früherer Jahre sind – von Milchkannen über Kutschen bis zur Einrichtung verschiedener Zimmer – im Museu Pomerano aufgereiht, das sich der Geschichte der Stadt und der Darstellung der Ankunft europäischer Einwanderer im Itajaí-Tal widmet.

Ursprung und Herzstück der Dauerausstellung ist die Sammlung von Egon Tiedt, ein Urenkel pommerscher Einwanderer. In den Räumen, die einst als Molkerei und Schlachterei und später als Baumarkt gedient haben, wird nun Historie bewahrt. Tiedt selbst erlebte die Museumseröffnung nicht mehr. Er starb kurz davor im Jahr 2008.

Die Vorzüge Pomerodes (Ercio Kriek: „Hier kann man gut und sicher leben“) scheinen wie ein Magnet zu wirken: Der Bürgermeister berichtet von einem überdurchschnittlichen Bevölkerungswachstum, was für die Entwicklung der Stadt gut und herausfordernd zugleich ist. Die früher sehr abgeschottete Gesellschaft der Einheimischen hat inzwischen kapiert, dass in einer vernetzten Welt Eigenisolation auf Dauer ins Abseits führt. Zudem passt es nicht ins Bild, mit ausgesuchter Gastfreundlichkeit Tagestouristen zu begrüßen, Menschen aber, die hier dauerhaft Fuß fassen wollen, die kalte Schulter zu zeigen. „Es braucht schon ein wenig, bis die Leute hier ihre Türe öffnen“, räumt der Rathauschef ein. „Aber wenn du mal drinnen bist, dann lassen sie dich nicht mehr raus.“

Mehr Zuzug von außen bedeutet auch, dass die deutsche Sprache zusehends verloren gehen könnte. Das meint die Apothekerin Karina Konell auf Nachfrage. Sie stützt ihre Aussage auf eigene Beobachtungen. In ihrem Elternhaus sei noch permanent deutsch gesprochen worden. Das sei nicht mehr zwingend so unter den Dächern der Nachfahren pommerscher Einwanderer. Die Stadt versucht dieser Entwicklung entgegenzusteuern. Seit 2008 werde in drei städtischen Schulen von der ersten bis zur neunten Klasse bilingual gelehrt und gelernt; auf Portugiesisch und Deutsch, erzählt der Bürgermeister. Er fügt hinzu: „Das hat es bis dahin in Brasilien nicht gegeben, dass öffentliche Schulen so etwas anbieten. Das ist ja für die Schülerinnen und Schüler umsonst. Wir waren die Ersten.“ Die Schulen mit diesem Ansatz erfreuten sich zunehmender Beliebtheit, ist die Beobachtung des Rathauschefs.

Weltoffen zu sein, dabei die deutsche Vergangenheit zu bewahren und gleichzeitig weiterzuentwickeln, ist ein schwieriger Spagat. In der Online-Enzyklopädie Wikipedia werden die Abkömmlinge der Immigranten nicht als konservativ bezeichnet. Dort steht: „Die politische Einstellung der Bewohner mit deutschem Migrationshintergrund ist offen rechtsradikal.“ Quelle der Einschätzung ist ein wenige Jahre alter, in der Süddeutschen Zeitung erschienener Artikel. Die Haltung einzelner oder einiger dürfe nicht zu einem allgemeingültigen Urteil über eine ganze Bevölkerungsgruppe führen, findet der Bürgermeister.

Zu denjenigen, die mit dem rechtsradikalen Gedankengut sympathisieren, gehört ein Geschichtsprofessor und Nachfahre italienischer Einwanderer, der nach Pomerode gezogen ist. Entdeckt wurde das per Zufall und aus der Luft: Eigentlich war der Polizeihubschrauber vor über sieben Jahren zu einem Rettungseinsatz unterwegs. Der Pilot flog über das Anwesen des Mannes und entdeckte auf dem Grund seines Swimmingpools ein Hakenkreuz. Das Foto war gemacht und verbreitete sich in Windeseile. Inzwischen habe der Geschichtsprofessor um der Ruhe willen das nationalsozialistische Symbol entfernen lassen, berichtet Ercio Kriek.

Ein Etikett, das sich die Einheimischen viel lieber verpassen, ist, kein Fest auszulassen und das Brauchtum hochzuhalten. In Pomerode wird nicht nur gerne Blasmusik gespielt. Die 35.000-Einwohner-Stadt im Süden Brasiliens – eine Autostunde von den schönen Stränden in Penha und Navegantes entfernt – ist Heimat von unglaublichen 15 Schützenvereinen. Jeder davon organisiert nach Aussage des Bürgermeisters vier bis fünf Festveranstaltungen im Jahr. „Das heißt, dass allein die Schützenvereine bei uns am Ort fast jedes Wochenende eine Feier oder zwei Feiern haben.“

Angekurbelt werden soll der Tourismus mit zwei weiteren Projekten: Investoren sind angeblich bereit, eine Seilbahn vom Ort auf den Hausberg zu bauen. Konkreter ist die Geschichte mit der Halle wenige hundert Meter vom Rathaus entfernt. Mithilfe von Schneekanonen soll ab Juni in Pomerode jeden Tag indoor der Schnee leise rieseln. Ein kleines Winterdorf wird unter dem Hallendach errichtet. Und wenn dann heiße Schokolade ausgeschenkt wird, ist vielleicht wieder Udo Jürgens am Zug: „Aber bitte mit Sahne“.

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